Sanft lächelnde Nörglerin

Claudia Pechstein gefällt sich als erfolgreichste Winterolympionikin Deutschlands. Ob die 34-jährige Eisschnellläuferin noch weitere Medaillen gewinnen will, lässt die Berlinerin offen. „Ihr werdet das schon sehen!“, sagt Claudia Pechstein

AUS TURIN FRANK KETTERER

Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein wurde in diesen nun zurückliegenden Tagen von Turin ziemlich oft nach der Macht der Zahlen befragt, auch am Samstag nach ihrem letzten Rennen bei diesen XX. Olympischen Winterspielen. Die Berlinerin ist ja schon angereist mit vier Gold-, einer Silber- und zwei Bronzemedaillen, eingesammelt bei den vorangegangenen Spielen in Albertville, Lillehammer, Nagano und Salt Lake City. Und wenn hier in Turin alles so ganz optimal verlaufen wäre, hätte sie jetzt wohl drei Olympiasiege mehr und wäre damit: die erfolgreichste Winterolympionikin aller Zeiten – hier zu Lande.

Man weiß nicht wirklich, ob Claudia Pechstein, 34, mit diesem Rekord insgeheim geliebäugelt hat. Man weiß nur, dass der Sport sich nicht planen lässt. Was heißt: Pechstein hat hier in Turin „nur“ einmal Gold (im Team) und einmal Silber (über 5.000 Meter) gewonnen, was allemal eine sehr gute Bilanz ist – und gleich nachdem sie das bewerkstelligt hatte, sagte sie: „Ich bin kein Mensch von Statistiken.“

Man kennt das von großen Sportlern. Im Prinzip sagen sie diesen Satz immer, wenn sie gerade einen Rekord für die Ewigkeit verpasst haben und nun ihre Enttäuschung hinter ein paar dürren Worten zu verstecken suchen. Aber bei Claudia Pechstein war das anders an diesem Samstag im Oval Lingotto. Die Berlinerin sah nicht enttäuscht aus. Das sanfte Lächeln wich ihr nicht mehr aus dem Gesicht, und in ihren Augen ruhte die pure Zufriedenheit. Sie hatte Silber gewonnen über 5.000 Meter, ihre Paradestrecke, den vierten Olympiasieg in Serie über diese Distanz verpasst, was eine weitere Bestmarke für die Ewigkeit gewesen wäre. Aber es schien ihr nichts auszumachen, jedenfalls saß da oben auf dem Podest nicht die Pechstein, die man kannte.

Claudia Pechstein ist im Laufe ihrer langen Karriere ja zu einem komischen Image gelangt: Sie gilt zwar schon lange als erfolgreich, aber sie galt auch als die immer Nörgelnde und Unzufriedene. Selbst bei den Spielen in Turin war das zunächst so: Als Pechstein angekommen war, beschwerte sie sich über den langen Flug, der kein Direktflug war, und über das Essen im olympischen Dorf. Dem Westen galt sie wegen Dingen wie diesen bald als die Zicke aus dem Osten. Und dass der Westen schon auch seine eigene Eiszicke besaß, wurde nur als halb so schlimm empfunden, immerhin schaffte es die Westzicke zwischendurch immer wieder, das nette Girlie zu spielen und ein bisschen Busen zu zeigen. Jedenfalls: Als es zum geschäftsfördernden Zoff kam, hatte die Westzicke den bald schon gewonnen. Und die Ostzicke schmollte noch mehr, obwohl auch sie davon profitierte.

Bei den Spielen von Turin war das anders. Hier hatte von Anfang an, die Nörgelei zu Beginn einmal geschenkt, Pechstein die Nase vorne, zunächst in der weniger wichtigen Sympathiewertung, am Ende auch bei den Medaillen. Gold und Silber hat Pechstein nun gewonnen, was kein schlechtes Ergebnis ist. Und nun saß sie da, war sichtlich zufrieden mit sich und der Welt – und nörgelte kein bisschen. Man hat sie wirklich selten so entspannt erlebt, und natürlich war das eine gute Gelegenheit, die Frage zu stellen: „Frau Pechstein, wie geht es jetzt weiter?“ Claudia Pechstein hat da ein wenig den Kopf gedreht und um den heißen Brei herumgeredet. Sie wisse noch nicht, wie es weitergehe. Sie habe nur gehört, dass ihr Trainer, Joachim Franke, weitermache, wenn sie weitermache; das sei „schon mal ein gutes Zeichen“. Alles Weitere aber müsse man abwarten. „Ihr werdet das schon sehen!“

So, wie es klang, wird Claudia Pechstein weitermachen. Vielleicht ein, zwei Jahre, vielleicht bis zu den nächsten Spielen in Calgary. Fünfmal Gold hat sie, zwei zum Rekord fehlen noch. Schade, dass Claudia Pechstein kein Mensch von Statistiken ist.