AMERICAN PIE
: Zum Wohle Russlands

EISHOCKEY Der russische NHL-Profi Ilja Kowaltschuk kehrt Amerika den Rücken und wird in seiner Heimat als Volksheld gefeiert

Man könnte meinen, der Mann habe eine Schlacht gewonnen. Er sei „ein wahrer Held“, sagt Roman Rotenberg über Ilja Kowaltschuk, „ein echter Patriot“, dessen Motiv „allein das Wohl Russlands“ sei. Der Tonfall, den nicht nur Rotenberg, der Vizepräsident von SKA St. Petersburg, anschlug, erweckte zwar den Eindruck, da habe jemand im Alleingang den Großen Vaterländischen Krieg entschieden. Aber der Anlass war dann doch, bei Lichte betrachtet, ein vergleichsweise profaner: Ein Eishockeyspieler kehrt nach Hause zurück.

Zuerst aber hatte Kowaltschuk in den USA für Aufregung gesorgt, als er in der vergangenen Woche seinen Vertrag bei den New Jersey Devils gekündigt hatte. Einen Vertrag, der über 15 Jahre lief und dem russischen Profi insgesamt 100 Millionen Dollar eingebracht hätte. Kowaltschuk, so hieß es, beendet seine Karriere und verzichtete auf die restlichen 77 Millionen Dollar. Das schockierte nicht nur die Devils, die vor der im Spätsommer beginnenden neuen Saison wohl kaum adäquaten Ersatz finden werden. Und weil sich der 30-Jährige erst einmal nicht zu seinen Beweggründen äußerte, schossen die Spekulationen ins Kraut: Waren ihm die Devils, die als Außenseiter in die neue Spielzeit gegangen wären, zu schlecht? Hatte er selbst die Lust am Eishockey verloren? Diesen Eindruck hatte eh schon mancher Betrachter gewonnen: Nicht erst in der vergangenen Saison kurvte Kowaltschuk bisweilen arg unengagiert übers Eis.

Schlussendlich war es dann doch wohl vor allem das Heimweh, das Kowaltschuk dazu brachte, seinen gut dotierten Kontrakt in der National Hockey League (NHL) zu kündigen. So richtig geliebt haben sie den hochtalentierten Edeltechniker in Nordamerika, wo sie ihre hart kämpfenden Raubeine verehren, sowieso nie. Als ihm 2010 bei einem Penalty der Puck vom Schläger rutschte, war die Häme groß. Der Videoclip des Missgeschicks kursiert heute noch als peinlicher Höhepunkt in der Geschichte des Eishockeys im Netz.

Aber selbst für den als launisch gefürchteten Kowaltschuk war es eine überraschende Kehrtwende, dass er nicht einmal eine Woche nach seinem vermeintlichen Karriereende einen neuen Verein gefunden hatte. Am Dienstag wurde bekannt, dass der Flügelstürmer in den nächsten vier Jahren für SKA St. Petersburg auf Torejagd gehen wird. Vizepräsident Rotenberg legte zwar Wert auf die Feststellung, dass Kowaltschuk nicht wegen des Geldes in die Heimat zurückgekehrt sei, sondern „weil er nach Hause wollte, weil er in Russland spielen, weil er näher bei seiner Familie, seinem Volk und seinen Fans sein wollte“. Für ganz umsonst aber spielt Kowaltschuk auch in seinem geliebten Russland nicht. Offiziell wurde sein Gehalt in St. Petersburg nicht bekannt, aber gerüchtehalber soll er sich seinen Patriotismus mit bis zu 15 Millionen Dollar pro Jahr versüßen lassen.

Damit würde er sogar besser verdienen als in New Jersey, aber in einem ersten Interview mit einer russischen Sportzeitung ließ er vor allem wissen, dass er sich „in Russland wohler fühle“. Nun hoffe er, endlich mal einen Titel zu gewinnen: „Ich bin froh, dass ich in der stärksten Liga der Welt gespielt habe, aber ich konnte nie den Stanley Cup gewinnen. Ich hoffe, das wird mir jetzt in St. Petersburg gelingen.“

Ein Coup ist der Wechsel von Kowaltschuk schon jetzt für die KHL. Die Kontinentale Hockey-Liga mit ihren 28 Mannschaften in Russland, Kasachstan, Weißrussland, Lettland, Kroatien, Tschechien und der Slowakei versucht seit ihrer Gründung vor fünf Jahren, dem internationalen Branchenführer NHL Konkurrenz zu machen. Doch bislang waren die Versuche, russische Spitzenkräfte auf der Höhe ihrer Schaffenskraft zurück in die Heimat zu locken, nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Der Wechsel von Kowaltschuk könnte diesen Trend nun umkehren. Da noch nicht klar ist, ob NHL-Profis auch bei den kommenden Olympischen Spielen 2014 in Sotschi antreten werden, könnten sich weitere russische Topprofis entschließen, lieber zurückzukehren, um die Spiele in der Heimat auf keinen Fall zu verpassen. Ilja Kowaltschuk ist in Sotschi auf jeden Fall dabei. THOMAS WINKLER