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Unbequeme Meinung

SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW Fatwas dort, die Jagd auf Whistleblower hier – die Eliten schlagen zurück

Ilija Trojanow

■ ist Schriftsteller und Weltensammler. Veröffentlichungen: „Stadt der Bücher“ (mit Anja Bohnhof), München 2012, und „Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika“, München 2011.

Voltaire wird folgender Satz zugeschrieben: „Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Wie viele grandiose Zitate ist auch dieses erfunden, wohl von Evelyn Beatrice Hall in ihrem Buch „The Friends of Voltaire“ (1906).

Zwar hat sich Voltaire durchaus in prägnanter Weise zur Meinungsfreiheit geäußert – „Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben“ –, doch bringt dies die Crux der Meinungsäußerung nicht so deutlich auf den Punkt wie der berühmtere erste Ausspruch.

Gegen den braven Geschmack

Denn das Recht, seine Meinung ohne Einschränkung kundzutun, wird nur dann relevant, wenn es sich um eine unangenehme Meinung handelt, eine, die herrschendes Denken auf den Kopf stellt. Nur wer eine Meinung zulässt, die er am liebsten unterdrücken würde, verschafft diesem Recht tatsächlich Geltung. Das wird oft übersehen, etwa wenn man demjenigen, der sich vermeintlich ungebührlich zu Wort meldet, vorwirft, gewalttätige oder restriktive Reaktionen selbst provoziert zu haben. Halte dich innerhalb der Grenzen des braven Geschmacks auf, gilt dem Biedermann seit jeher als Losung, dann hast du auch nichts zu befürchten. Weswegen nicht wenige unserer Zeitgenossen die Bedrohung der totalen Überwachung mit dem Einwand wegwischen, sie hätten eh nichts zu befürchten. Wer nichts zu befürchten hat, der hat auch nichts zu sagen.

Hamed Abdel Samad, ein angesehener ägyptisch-deutscher Politikwissenschaftler, hat viel zu sagen. Er traut den religiösen Kräften alles Übel und dem säkularen Staat alles Gute zu, weswegen er immer wieder für lebhafte Diskussionen sorgt. So weit, so gut, so notwendig. Doch am 7. Juni dieses Jahres veröffentlicht Assem Abdel-Maged, einer der Anführer der Dschamaa al-Islamiyya („die islamische Gruppe“, die für eine Theokratie kämpft) einen Mordaufruf gegen Hamed Abdel Samad. Gegen solch perverse Intoleranz eines Fanatikers, könnte man vermuten, ist kein Kraut gewachsen. Allerdings genießt der Fanatiker hochrangige Unterstützung, und das macht den Fall zu einem Politikum.

Am 13. Juni verurteilt Außenminister Guido Westerwelle den Mordaufruf und verlangt von der ägyptischen Regierung, sich von diesem zu distanzieren und die Urheber juristisch zu verfolgen. Doch schon zwei Tage später lädt der ägyptische Präsident Mursi besagten Abdel-Maged zu einer öffentlichen Veranstaltung ein und umarmt ihn vor laufender Kamera. Obwohl Westerwelle Kenntnis von diesem Video hat, äußert er sich nicht mehr zu diesem Fall. Inzwischen haben sich die Ereignisse überschlagen: Hamed Abdel Samad steht unter Polizeischutz, und Mursi ist von der Armee abgesetzt worden, weswegen der deutsche Außenminister nun darüber sinniert, ob diese Entmachtung einen Rückschlag für die Demokratie bedeutet.

Freie Meinung oder Stabilität

Es scheint den Regierungen der Nato-Länder leichter zu fallen, irgendwo in der arabischen Welt einzumarschieren beziehungsweise Nichtflugzonen durchzusetzen, als das Recht auf freie Meinungsäußerung zu verteidigen. Das hat seine guten Gründe.

Die freie Meinungsäußerung beabsichtigt oft, die Verhältnisse zu ändern, unsere Außenpolitik hingegen optiert meist für eine stabilisierende Wirkung, weswegen es unsere Regierung für angemessen hält, einem der widerwärtigsten Unrechtsstaaten, Saudi-Arabien, der aggressiv seine frauenfeindliche und sinnentleerte Version des Islams exportiert, mit Panzern und Patrouillenbooten zu beliefern.

Parallel hierzu werden US-amerikanische Journalisten, die mit Whistleblowern zusammenarbeiten, zunehmend von den Behörden beobachtet und bedroht. Etwa der erstaunlich wenig bekannte Fall des Barrett Brown, der seit mehr als 300 Tagen einsitzt, weil er bei seinen Recherchen über die geheime Zusammenarbeit zwischen Überwachungsstaat und privaten Sicherheitsfirmen auch Informationen der Hackergruppe Anonymous auswertet.

Und die Schriftsteller?

Auch in den westlichen Staaten bahnt sich die Kriminalisierung der freien Meinungsäußerung an

Freie Meinungsäußerung ist Voraussetzung für Transparenz, und Transparenz ist das Fundament einer halbwegs freien Gesellschaft, doch Transparenz genießt gegenwärtig, das haben die Entlarvungen der letzten Wochen bewiesen, keinen hohen Stellenwert. Morddrohungen sind brutale Angriffe gegen freidenkende Individuen; die Kriminalisierung der freien Meinungsäußerung, die sich in den westlichen Staaten anbahnt, ist zwar weniger gewalttätig, aber langfristig ein ebenso effektiver Angriff auf entscheidende gesellschaftliche Freiräume. Insofern ist es unverständlich, wenn Publizisten für Sanktionierung oder Einschüchterung der freien Rede Verständnis zeigen.

Allerdings greift der Vorwurf, die Schriftsteller würden nicht Position ergreifen (wie zuletzt von Georg Diez auf Spiegel Online), in die Leere, weil er derart häufig auf dem Jahrmarkt der feuilletonistischen Eitelkeiten instrumentalisiert wird. Wenn ein Manifest publiziert wird, das dem Zeitgeist nicht in den Kram passt (wie etwa der nachdenkliche Aufruf von europäischen und afrikanischen Autoren und Autorinnen für strukturelle Veränderungen, um das Massensterben in der Sahelzone zu beenden; nachzulesen auf der Website von medico international), wird es medial ignoriert.

Im nächsten Atemzug wird beklagt, die heutigen Schriftsteller seien weltabgewandt. Romane, die politisch engagiert sind, werden meist verteufelt, weil der feine Geist in diesen Land weiterhin säuberlich zwischen Poetik und Politik trennt. Doch zu bestimmten Themen sollen sich die Schriftsteller äußern. Sie haben allerdings auf die Einladung ihres feuilletonistischen Dirigenten zu warten.

Wir sollten uns alle mit Hamel Abdel Samad solidarisch zeigen, etwa indem wir seinem mutigen Beispiel folgen und offen das aussprechen, was den Mächtigen und den Zeitgeisthütern die Zornesröte ins Gesicht treibt.

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