piwik no script img

Unter Hochspannung

Auch Liebe auf den zweiten Blick kann sehr innig sein: Die Theaterregisseurin Simone Blattner feiert mit Stücken Erfolge, um die sie zunächst einen Bogen machte. Ein Porträt einer Hoffnungsträgerin

VON KRISTIN BECKER

Wenn man den Zahlen trauen darf, gehören Regisseurinnen noch immer zu den Ausnahmen im deutschen Theatersystem. In der jährlichen Kritikerumfrage von Theater heute zu den Inszenatoren des Jahres finden sich selten weibliche Namen. Auch das Goethe-Institut, unsere Kulturbotschaft in der Welt, hat für seine Theaterseiten im Internet, auf denen es fünfzig deutschsprachige Regisseure vorstellt, nur zehn Frauen gesichtet.

Die Regisseurin Simone Blattner, die in Frankfurt gerade für ihre Premiere von „Die Liebe zur Leere“ gelobt wurde, sitzt nicht zufällig im Schauspielhaus einer Intendantin, Elisabeth Schweeger. „Das Theater ist schon ein patriarchalisches System“, sagt Blattner. Die Unstetigkeit, der Durchlauf, die unbedingte Konzentration des Arbeitsprozesses und nicht zuletzt die Hierarchien steuern die Dynamik eines Betriebs, auf die sich ein Männerleben im Allgemeinen besser abstimmen lässt. Die Schweizerin ist seit zweieinhalb Jahren Mutter und hat trotz dieser klaren Worte für Larmoyanz nichts übrig.

Es hat sie zum Theater gezogen, weil sie dort jenseits des Alltags sein kann. Sie genießt diesen Freiraum für das Explosive, Laute, Aggressive. Wenn man Simone Blattner in einem Wort beschreiben müsste, würde es ohne Zweifel „Energie“ lauten. Es brodelt schon beim ersten Händedruck. Sie müssen raus, die Gedanken zum Kulturbetrieb und die Begeisterungen fürs Theater. Ein schnelles Sprechen gegen das Diktat der Uhr prägt die Begegnung mit der 37-Jährigen.

Dabei ist die Genauigkeit des „Handwerks“ das Erste, was ihrem Dramaturgen zur Charakterisierung ihrer Arbeit einfällt. Das hat sie, ganz klassisch, in München gelernt, an der Otto-Falckenberg-Schule für Regie; das Theater am Neumarkt in Zürich, die Münchner Kammerspiele unter Dieter Dorn und das Bayrische Staatsschauspiel folgten. Seit 1998 arbeitet sie freiberuflich, seit 2001 regelmäßig in Frankfurt am Main. Der Anfang dort war „knüppelhart“: weniger wegen der künstlerischen Arbeit als wegen der stadtpolitischen Widerstände gegen die Intendanz Elisabeth Schweegers. Inzwischen aber ist Simone Blattner in Frankfurt angekommen und hat sich mit Inszenierungen im Kleinen Haus auf die große Bühne vorgearbeitet.

Und die erste Reihe steht ihr gut. Dabei war es ausgerechnet ein französisches Boulevardstück der vorletzten Jahrhundertwende, mit dem sie vergangenen Herbst ihren Einstand im Frankfurter Haupthaus gab und überzeugte. Feydeaus „Floh im Ohr“ hatte ihr die Intendantin höchstpersönlich ans Herz gelegt und war damit zunächst auf wenig Gegenliebe gestoßen. Schließlich hatte sich der Text in Elfriede Jelineks kongenialer Übertragung aber doch in Blattners Lesezirkel eingeschmuggelt und siehe da: Auch Liebe auf den zweiten Blick kann tief und innig sein. „Die Sachen, die ich gern lese, kann ich gar nicht unbedingt inszenieren“, sagt sie.

Der Boulevard ist ein überraschendes Gegenstück zu jenen sperrigen, scheinbar unzugänglichen und undramatischen Theatertexten der Gegenwart, die ihr besonders zu liegen scheinen. Auch um die hatte Simone Blattner zunächst einen Bogen gemacht – zu viele Fragezeichen, alles voller „Textflächen“, aber „keine Situation, keine Geschichte“. Die Wende kam 2002 mit Martin Heckmanns „Schieß doch, Kaufhaus!“, und sie kam, wie sich das gehört, im Osten, in Dresden, wo die Regisseurin innerhalb von zwei kurzen Wochen die fast schon gescheiterte Uraufführung übernahm und zum Erfolg machte. „Da war kein Druck, nichts zu verlieren“, meint sie heute rückschauend. Mit dem unvermittelten Erfolg erschienen ihr plötzlich auch Texte von Autorinnen wie Gesine Danckwart und Dea Loher nicht mehr so fern vom eigenen Theaterdenken. Blattners Versionen von „Girlsnightout“ und „Leviathan“ waren Selbstläufer in Frankfurt. Konsequent hat sie die Rhythmen der Texte erspürt und aus Fragmenten Geschichten gebaut.

Auch Heckmanns hat sie nicht mehr losgelassen. „Kränk“ war 2004 der bisherige Höhepunkt der gemeinsamen Arbeit und ein seltener Beweis dafür, dass Regie und Autor doch produktiv und zum beiderseitigen Vergnügen zusammenkommen können. Auch sein neues Werk, „Die Liebe zur Leere“, hat der Dramatiker seiner Stammregisseurin anvertraut und dafür eine endzeitliche Kammerspielparty bekommen. Wo Heckmanns in seiner Sprachgewalt ein wunderbar böses Stakkato von Seitenhieben auf Spaßfernsehen, Gefühlsbanalität und Fundamentalismus entfesselt, pariert Blattner mit Minimalismus und unnachgiebiger Körperarbeit. Sie entwirft groteske Figuren, die sich mit ihren flexiblen Körpern verbiegen, um ein Teil der Show zu sein, die Alleinunterhalter Hans, ein trauriger Abgesang auf die Harald-Schmidt-Ära, zu Grabe trägt.

Die aktuelle Inszenierung verblasst jedoch mit Blick auf Blattners „Floh im Ohr“, der parallel dazu weiter auf der großen Bühne läuft. Der alte, zotige Franzose Feydeau, den sie so rasant, klug und unbedingt unterhaltsam inszeniert hat, lässt ihr freien Lauf für ihre Lieblingsbesessenheiten mit Sprache und Körper. Die Bühnenpräsenz und Körperbeherrschung, zu denen sie das Frankfurter Ensemble in dieser Inszenierung treibt, sind intensiv, ein Theaterwunder kurz vorm Überschlag. Wie Flummibälle schickt die Regisseurin ihre Schauspieler über die Bühne, Knie und Füße haben’s in sich, wippen und wackeln, hopsen und federn, denn „mit Gemütlichkeit macht man kein Theater“. Dafür aber mit Präzision, Sinn fürs Tragikomische und konsequenter Leidenschaft. Und dafür braucht es keinen Listenplatz beim Goethe-Institut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen