ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS
: Harte Arbeit am Kreditreport

Mein US-Bankberater sagt: Ohne Schulden keine Kreditkarte – ohne Kreditkarte keine Schulden. Und nun?

Ich bin das Produkt einer prinzipienfesten Erziehung, verbrämt mit vier Jahrzehnten protestantischer Ethik und dem Warhol’schen Grundsatz, dass alle Dinge die prima sind, entweder dick machen oder schlecht für die Umwelt sind. Dieses Tugend-Trio reichte locker für die Berliner WG-Zeit. Half durch die Dreißiger und war einfach nicht „falsch“. Leider sogar meist wahr. In Amerika, scheint dieses „mind-set“, dieses Grunddenkmuster, nicht einmal für den Erwerb einer Kundenkarte bei Starbucks zu taugen. „It get’s you nowhere“, um meinen Bankberater Tarik Sahlatia zu zitieren.

Ich weiß nicht, ob Max Weber seine Theorie der protestantischen Ethik, die den modernen Kapitalismus erst möglich mache, bearbeitet hätte, wenn er sich bei der Kontoeröffnung von Tarik hätte beraten lassen. Tarik jedenfalls erläuterte das US-Gesellschaftsmodell genau anders herum als Weber das seine: Ein Mensch der nicht verschuldet ist, ist ein lausiger Drückeberger. Ein verantwortungsloses Subjekt, ein Hasardeur. Und wenn ich am Erwerb einer US-Kreditkarte bei seinem Geldinstitut interessiert sei, solle ich nach Hause gehen und an meiner „Credit-history“, meiner Schuldengeschichte, arbeiten. Bislang verlangte man von Deutschen ja eher, an der Familiengeschichte zu arbeiten. Ich versuchte es noch mal:

„Aber ich könnte doch hier Kredit beantragen, diesen dann auf mein Konto einzahlen – und Sie geben mir eine Kreditkarte?“ – Nein, ich könne keine Schulden machen, weil ich keine Schulden habe, erklärte Tarik. No way.

Mir gegenüber saß also dieser sympathische Businessabsolvent aus Jordanien und empfahl mir beim Hinausgehen noch freundlich, ich sollte doch mal bei einer Bank Namens „Obstgarten-Bank“ vorstellig werden. Die könnten mir helfen. Wobei? Natürlich bei der Menschwerdung, Spezies homo americaniensis.

Die Obstgarten-Seiten im Internet raunen diskret, dass sie auch Menschen, die alles vermasselt haben, wieder zu einer weißen Weste verhelfen, gegen eine Gebühr selbstverständlich. Sie helfen nämlich beim Erstellen von Schulden. Man müsse nur mit der von ihnen ausgestellten Karte regelmäßig einkaufen, das Konto schön überziehen, dann brav abstottern – schon habe man eine ansehnliche Kreditgeschichte. Damit sei der gute Ruf wieder hergestellt, und man könne stolz von sich behaupten: Jawohl, ich verhalte mich verantwortungsvoll, Sir! Ich zahle nämlich meine Schulden ab, Sir!

Schulden machte ich dann auch, aber ganz anders als gedacht. Vor kurzem rief die Bank an, es war nicht Tarik, sondern die Investigativabteilung. „Dies ist kein Werbeanruf, legen Sie bitte nicht auf. Hat Ihr Mann sich gestern in Oklahoma 35 Paar Schuhe und drei Perücken gekauft?“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir meinem Mann je mit Perücke und einer Schuhsammlung, die drei Paar übersteigt, würde vorstellen können. Aber es war ein interessanter Gedanke. Vielleicht hat er ein geheimes, mir verborgenes Leben? Man soll ja bloß nicht denken, dass man den Lebenspartner je ganz durchschauen könne, wie meine Oma immer sagte.

Der weitere Dialog wurde jedoch profan. Die Bank war durch den Computer alarmiert worden, dass unsere gemeinsame Bankkarte wohl am Tag zuvor in einem Shopping-Exzess zwischen Washington und Oklahoma eingesetzt worden war. Wahrscheinlich geklaut. Unser Konto war hoffnungslos geplündert, ja überzogen und es galt wieder zu Tarik zu gehen. In jeder Niederlage steckt eine Chance, dachte ich. „Tarik, ich habe jetzt Schulden gemacht, bin im Minus. Heißt das auch, dass ich schon ein Stück vertrauenswürdiger bin?“ Nach einem Blick in den Computer schüttelt er den Kopf. Ich hatte vor Wochen gedankenlos eine Starbucks-Kundenkarte beantragt, um Prozente zu bekommen, war aber abgelehnt worden, weil ich in diesem Land ein Nichts bin. „Das hat Ihren Kreditreport kaputt gemacht. Sie müssen Geld ausgeben, um wieder bei null anfangen zu können“, riet er. Beim Rausgehen fragte ich den Gatten, ob wir nicht einfach mal nach Oklahoma fahren sollten, ein paar hübsche Sachen kaufen.

Fotohinweis: ADRIENNE WOLTERSDORF OVERSEAS Fragen zur Credit-history? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN