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Das Ende des Ärmelschoner-Klischees

Eine Studie liefert den Streikenden bei Ländern und Kommunen neue Argumente: Schon jetzt arbeiten die Beschäftigten in Deutschland demnach länger als in vielen anderen EU-Ländern. Widerstand gegen Staffelung der Arbeitszeit nach Alter

VON BARBARA DRIBBUSCH

Das Klischee hält sich hartnäckig in den Köpfen: Deutsche StaatsdienerInnen haben es bequem und dürfen sich über gemütliche Arbeitszeiten freuen. Dass dem nicht so ist, zeigt eine jetzt veröffentlichte Studie des landeseigenen Instituts Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen. Danach ackern die Staatsbediensteten in Westdeutschland im öffentlichen Dienst durchschnittlich länger als ihre Kollegen in anderen Ländern der Europäischen Union.

Im Schnitt arbeiten die EuropäerInnen im öffentlichen Dienst 38 Stunden die Woche. In Westdeutschland hingegen gilt bisher für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst noch die 38,5-Stunden-Woche – und die Arbeitgeber möchten die Arbeitszeit sogar verlängern. Dabei können sich beispielsweise Briten und Dänen im öffentlichen Dienst über eine tarifliche 37-Stunden-Woche, die Niederländer sogar über eine 36-Stunden-Woche freuen. Die französischen, spanischen und portugiesischen Staatsdiener müssen gar nur 35 Stunden ackern.

Für die Italiener steht eine 32,9-Stunden-Woche auf der Liste. Allerdings kommt der niedrige Wert nach Angaben von IAT-Forschungsdirektor Steffen Lehndorff auch dadurch zustande, dass Lehrer dort ihre Vorbereitungsstunden nicht als tarifliche Arbeitszeit werteten. In den Mittelmeerländern war der öffentliche Dienst traditionell „eine Bastion der Gewerkschaften“, so Lehndorff. Auch dewegen herrschten dort vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen. Würden die tarifvertraglichen Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst weiter verlängert, sei damit zu rechnen, dass Deutschland an die Spitze der EU rücken würde, sagte Lehndorff. 40 Wochenstunden gelten beispielsweise im öffentlichen Dienst der Tschechischen Republik und in Polen, aber auch in Österreich. Der Osten Deutschlands mit seiner 40-Stunden-Woche hält bereits osteuropäisches Niveau.

Aber auch die Beamten im öffentlichen Dienst ackern schon länger, im Unterschied zu den Arbeitern und Angestellten. Die Beamten-Arbeitszeiten auch in Westbundesländern reichen bis zu 42 Wochenstunden.

Bei den tatsächlichen Arbeitszeiten, also den tariflichen Jobzeiten plus Überstunden, erreicht Westdeutschland gleichfalls ein EU-überdurchschnittliches Niveau. Danach ackern die Westdeutschen tatsächlich 39,8 Wochenstunden. Dennoch wollen die Arbeitgeber unbeirrt die tarifliche Wochenarbeitszeiten verlängern.

Dagegen wird in einigen Bundesländern bei Müllabfuhren und in Kliniken derzeit weiter gestreikt. In Baden-Württemberg trafen sich gestern Vertreter von Ver.di mit Repräsentanten des kommunalen Arbeitgeberverbands, um über die künftigen Arbeitszeiten der Beschäftigten bei Städten und Gemeinden zu verhandeln. Es gehe darum, „Differenzierungsmöglichkeiten auszuloten“, so ein Sprecher des Ver.di-Landesbezirks Baden-Württemberg gestern zur taz.

Wie berichtet, hat Ver.di-Chef Frank Bsirske eine Differenzierung nach Alter vorgeschlagen und dabei auf einen Tarifvertrag an Universitätskliniken in Baden-Württemberg verwiesen. Die Arbeitszeit wird dort nach Alter gestaffelt. So arbeiten unter 40-Jährige 39 Stunden, 40- bis 55-Jährige sowie Auszubildende nach wie vor 38,5 Stunden und über 55-Jährige nur 38 Stunden.

Bei Ver.di in Baden-Württemberg stieß der Vorschlag der Staffelung allerdings auf wenig Begeisterung. Gerade die Jüngeren hätten sich bei diesem Streik besonders engagiert, deswegen könne man nun nicht gerade deren Arbeitszeit verlängern, hieß es bei Ver.di in Stuttgart.

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