HARALD HEISKEL NEBENBEFUND
: Erst kommt der BMW, dann die Moral

Immer häufiger verkaufen Ärzte autoritätsgläubigen Patienten für teures Geld unsinnige Untersuchungen oder Therapien. Das wird Folgen für unser Ansehen haben. Endlich. Ein Lob der Scharlatanerie

Muss ich das zahlen?“ Meine Patientin zeigt mir die Rechnung eines Orthopäden über eine „Pulsierende Signal-Therapie“. Ich bin irritiert, habe ich sie doch nicht zum Orthopäden geschickt. Zu diesem schon gar nicht. Schließlich mag ich sie gern. „Ja, wieso haben Sie sich denn diese Behandlung machen lassen?“, frage ich. „Der Orthopäde hat gesagt, wenn ich das nicht mache, dann muss ich operiert werden oder komme in den Rollstuhl. Es würde 250 Euro kosten“.

Verärgert schaue ich auf die Rechnung von über 500 Euro. Meine Patientin bezieht eine schmale Rente. Sie brach sich vor zwei Jahren das Bein und ist seitdem gehbehindert. Eine erneute Operation oder gar der Rollstuhl stand bei ihr aber nie zur Debatte. Und: Für die Wirksamkeit der Signal-Therapie jenseits der Suggestivwirkung gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Deshalb ist sie auch keine Kassenleistung.

Arzt sein ist ein herrlicher Beruf. Wir genießen immer noch ein hohes Ansehen. Weißer Kittel, ein Röntgenbild in der Hand und drei lateinisch klingende Fachbegriffe in Reihe gesprochen, und die Patienten kaufen uns alles ab. Keine Rückgabegarantie, keine Stiftung Warentest. Weder die Beschwerdestelle der Kassenärztlichen Vereinigung noch die Landesärztekammer half meiner Patientin. Eingeschüchtert zahlte sie schließlich.

Einzelfälle? Keineswegs. „Schicken Sie mich nicht mehr zur Augenärztin, ich kann mir das diesen Monat nicht leisten“, sagte mir eine andere Patientin. „Das bezahlt doch die Krankenkasse“, beruhige ich sie. „Aber mir wurde gesagt, die Untersuchung werde nicht von der Kasse bezahlt.“ „Welche Untersuchung“, frage ich. „Na die, zu der Sie mich geschickt haben.“ Ich hatte sie wegen ihrer Zuckerkrankheit zur Untersuchung ihres Augenhintergrunds zur Augenärztin geschickt. Eine Kassenleistung. Der Patientin aber wurde zur Früherkennung eines Glaukoms der Augeninnendruck gemessen. Eine selbst zu bezahlende Leistung. Sie war weder über die Untersuchung noch die Kosten und den – bisher nicht belegten – Nutzen aufgeklärt worden.

Die Liste lässt sich fortsetzen: Nutzlose Krebsvorsorgeuntersuchungen als Labortests, Knochendichtemessungen mit Ultraschall suggerieren Sicherheit, nachdem Ängste geschürt wurden. Eine unwillige Patientin sollte bei der Gynäkologin unterschreiben, dass sie auf die selbst zu zahlende Krebsvorsorge gegen ärztlichen Rat verzichte und so die Verantwortung übernähme, wenn sie Krebs bekomme.

Erst kommt eben der BMW, dann die Moral. Ich rege mich nicht mehr darüber auf. Im Gegenteil. Je mehr Ärzte zur Vermeidung von Einkommensverlusten zu Abzocke und Quacksalberei greifen, desto kritischer werden die Patienten mit der Zeit werden. Scharlatanerie wird hier also zur Geburtshelferin der Eigenverantwortung von Patienten. Mit der Zeit werden dann wohl auch unsere Umfragewerte sinken. Wie so oft sind sinkende Umfragewerte ein Zeichen von erstarkender Kritikfähigkeit.

Der Autor ist Allgemeinmediziner in Frankfurt am Main Foto: privat