Eiswürfel aus der Fischfabrik

Die Basketballer der Eisbären Bremerhaven haben sich zu einem der besten Aufsteiger der Bundesliga gemausert. Begreifen kann das niemand so recht in einer Stadt, der ihr schlechter Ruf vorauseilt. Heute steht das Team von Trainer Sarunas Sakalauskas im Pokal-Achtelfinale gegen Alba Berlin

von Holger Schleper

Alle hatten ihn gewarnt, diesen Schritt nicht zu tun. „Bremerhaven! Wie kannst du da hingehen. Die Stadt ist tot“, sagte seine Familie.

Gegangen ist er trotzdem. Seit mittlerweile dreieinhalb Jahren ist der gebürtige Kölner Jan Rathjen nun Manager der Basketballmannschaft Eisbären Bremerhaven, die seit dieser Saison in der Ersten Basketball-Bundesliga spielt. Und Rathjen kann auf eine unheimliche Erfolgsstory zurückblicken, die so gar nicht in die Seestadt zu passen scheint, die in den überregionalen Medien den unrühmlichen Beinamen „die Stadt, in der jeder vierte keine Arbeit hat“ trägt. Rathjen hingegen sagt: „Mir gefällt es hier gut. Und hier in Bremerhaven bewegt sich was. Die Eisbären spiegeln das wider.“

Der 30-Jährige verweist auf die erfolgreichen Projekte, vor allem rund um den neuen Hafen. Das Deutsche Auswandererhaus, das in einer gelungenen Erlebnisausstellung die Emigration von Millionen Menschen im 19. und 20. Jahrhundert von Bremerhaven aus nachzeichnet, hat bundesweite Anerkennung erhalten. Und auch der Anfang 2004 neu gestaltete Zoo am Meer sorgte für positive Schlagzeilen.

Aushängeschild des Zoos sind die Eisbären. Für den Basketballverein lag es deswegen auf der Hand, die Tiere in den Clubnamen einzubinden – und selbst zu einer Attraktion zu werden. Begonnen hat der Aufstieg der Eisbären mit der Verpflichtung des litauischen Trainers Sarunas Sakalauskas, eines international hoch anerkannten Coaches. Auch er wurde mit Unverständnis bedacht, als er sich vor fünf Jahren entschied, für drei Monate die Seestädter zu trainieren. Geschäftsführer Rathjen, seit langen Jahren mit Sakalauskas befreundet, war pikanterweise einer der Bedenkenträger. „Was willst du denn da, die sind Mittelmaß in der zweiten Liga“, hatte er gewarnt. Sakalauskas schlug alle Warnungen in den Küstenwind. Stattdessen reifte während seiner geplanten kurzen Stippvisite eine Vision: Spitzenbasketball in Bremerhaven.

Aus der durchschnittlichen Zweitligamannschaft ist mittlerweile einer der besten Aufsteiger in der Basketball-Bundesliga geworden. Die vielen Neuverpflichtungen vor Saisonbeginn haben sich ausgezahlt. Auch die Bremerhavener laufen nun mit einer Multikulti-Truppe auf, die – wie üblich in der Basketball-Bundesliga – von amerikanischen Spielern dominiert wird. In Bremerhaven heißen die Leistungsträger Darren Fenn, der durchschnittlich 19,1 Punkte pro Spiel erzielte, Nick Jacobson (16,2) oder Judson Wallace (11,7). Die Spieler kommen an in der Stadt, ihre Konterfeis prangen auf neun Quadratmeter großen Transparenten, die die veralteten Bauten der Stadt kaschieren.

Die Mannschaft belegt derzeit Platz vier in der Tabelle, dem Ligaprimus Alba Berlin fügte sie in dessen Halle eine Niederlage bei. Acht Punkte beträgt der Vorsprung der Eisbären auf Platz neun. Damit haben sie es locker in Play-offs geschafft, in denen die besten acht Mannschaften den Meister unter sich ausmachen. „Es wäre schon bitter, wenn wir das jetzt nicht packen würden“, sagt Pressesprecher Boris Butschkadoff. Deutscher Meister: Für ein Team, das eigentlich das Ziel hatte, die Klassen zu halten, eine sensationelle Perspektive, die Manager Rathjen manchmal fast erschreckt: „Wie wir Nürnberg aus der eigenen Halle gefegt haben, das hat mir schon fast Angst gemacht“, sagt er noch immer etwas ungläubig angesichts des Erfolges.

Die 75:82-Niederlage gegen den Tabellenletzten BS Energy Braunschweig passt da nicht recht ins Bild. Aber viele Dinge rund um den Profibasketball in Bremerhaven entsprechen nicht den gewohnten Standards. So besitzt das Team keine eigene Trainingshalle. Regelmäßig sendet das Sportamt der Stadt ein Fax, in dem die Mannschaft erfährt, welche Hallen in und um Bremerhaven für das Training der kommenden Wochen zu nutzen sind. Im Dezember kam es dann zu dem unfreiwillig komischen Zwischenfall, dass die Eisbären einer Weihnachtsaufführung von Kindern weichen mussten. Trainer Sakalauskas tobte, seine Mannschaft aber siegte weiter. Direkt unterstützt werden sie dabei von den Unternehmen in der Stadt – mit Eiswürfeln. Denn da der Club noch über keine Eismaschine verfügt, gehen die Physiotherapeuten vor Spielen oder Trainingseinheiten manchmal beim Fast-Food-Restaurant ihrer Wahl oder einer Fischfabrik vorbei, um das notwendige Eis in ihre Boxen zu füllen.

„Wir haben einen Etat von 1,5 Millionen Euro und befinden uns damit im unteren Drittel der Liga“, sagt Manager Rathjen. Mannschaften wie Berlin haben das Dreifache zur Verfügung. In Bremerhaven hingegen ist alles bescheidener. Mit einem dunklen, rauen Teppich, grün gepolsterten Stühlen und großen eckigen Tischen mit sichtlich betagten Holzplatten hat die Geschäftsstelle den Charme von Büroräumen aus den 80er Jahren. Überhaupt wirkt die Geschäftsstelle neben Metallkolossen am Rand des Hafenbeckens – Silos und Kränen für das Löschen von Schiffen – seltsam deplatziert. „Alles muss langsam wachsen“, sagt Rathjen. Zweifel daran hat er nicht. Der Manager weiter: „Schon in der nächsten Saison werden wir eine eigene Trainingshalle haben.“ Eine ehemalige Bundeswehrkaserne soll für die Basketballer umgestaltet werden.

Für die Heimspiele hingegen bleiben die Belegungsprobleme in der Stadthalle. Am heutigen Mittwoch steht mit dem Achtelfinale im Pokal gegen Alba Berlin ein weiterer Höhepunkt der Saison an – die Stadthalle aber ist Musical-Highlights von Andrew Lloyd Webber und Walt Disney vorbehalten.

Die Eisbären werden deshalb nach Bremen in den AWD-Dome ausweichen. „So schlecht ist das nicht“, sagt Pressesprecher Butschkadoff, „da können wir weiter für uns werben.“ Das Interesse scheint groß zu sein in Bremen, den Eisbären winkt ein neuer Zuschauerrekord – der bisherige liegt bei 4.200 Fans in der eigenen Stadthalle gegen die EWE Baskets aus Oldenburg. Der Bremerhavener Höhenflug scheint sich damit fortzusetzen. „Die Anfragen von Presse und Fernsehen sind enorm und für uns kaum noch zu bewältigen“, sagt Butschkadoff. Und bei aller Euphorie treibt ihm noch etwas Sorgenfalten auf die Stirn. Butschkadoff: „Die Eishockeymannschaft Bremerhavens klopft auch ans Tor der Ersten Liga. Wenn das klappt, käme einiges an Investitionen auf die Stadt zu.“

Bremerhaven – die Stadt, die von ihrem eigenen Erfolg überrumpelt wird. Das wäre ein schöner, neuer Beiname.