: Nah am Jenseits gebaut
FAMILIÄR Mavis Staples ist Teil des berühmtesten US-Soulclans. Auf ihrem neuen Album lässt sich die 74-jährige Sängerin von dem Chicagoer Musiker Jeff Tweedy angemessen gravitätisch in Szene setzen. „One True Vine“ heißt die Platte
VON KLAUS WALTER
Rubinieren ist das Gegenteil von ruinieren. Unter Rubinieren versteht man im Pop die Veredelung durch Reduktion. Erfinder des Rubinierens ist der amerikanische Produzent Rick Rubin, der sich darauf spezialisiert hat, ältere und mehr oder weniger abgehalfterte Künstler so in Szene zu setzen, dass ihre ureigenen Qualitäten zum Vorschein kommen, ohne dabei Rücksicht zu nehmen auf aktuelle Sound-Gepflogenheiten oder Radiotauglichkeit.
Rubin reißt die Staffage runter und enthüllt – im Business-Sprech – den Markenkern. So hat er Johnny Cashs Lebensabend rubiniert und den Country-Veteran einem Publikum nahegebracht, das mit Indierock groß geworden ist. Oder mit Großraumdisco, Cashs nekrophile Interpretation des Nine-Inch-Nails-Melodrams „Hurt“ lief sogar auf der Beerdigung des Frankfurter Techno-Prolls Markus Löffel.
Nicht ganz so erfolgreich lief das Rubinieren bei Donovan und Neil Diamond, soeben haben sich Black Sabbath von Rubin re-essenzialisieren lassen.
Fast wie Rick Rubin
Nun könnte man auf die Idee kommen, dass Jeff Tweedy die große Soul-Sängerin Mavis Staples rubinisieren soll, wenn er als Produzent ihres neuen Albums „One True Vine“ fungiert. Als Kopf der Vintage-Rockband Wilco hat Tweedy sich den Ruf eines Connaisseurs erworben, der die Tradition achtet, aber nicht mit Scheuklappen rumläuft. Mit seinen 45 ist Tweedy alt genug, den klassischen Soul in sein musikalisches Koordinatensystem zu integrieren, und jung genug, neue Soul-Entwürfe zu kapieren, von Frank Ocean bis Dirty Projectors.
Genau der richtige Mann, um die imposante, demnächst 74 Jahre alte Mavis Staples einer neuen Zielgruppe zuzuführen. Die Tweedyfizierung der Mavis Staples – das dürfte das Kalkül gewesen sein für das zweite gemeinsame Album. Der Masterplan hinter „One True Vine“ liegt auf der Hand. Wie Rubin bei Cash hat Tweedy den Sound runtergestrippt, um der warmen, tiefer gewordenen Stimme Staples’ Raum zu geben. Ein Gospel-Chor, feierliche Bläser, ansonsten Family Affair: Sohn Spencer Tweedy spielt Schlagzeug, Vater Jeff den Rest, darunter ein Instrument mit dem schönen Namen Marxophone.
Familiär ist auch die Vorlage: „Ich wollte die Songs eigentlich nur mit Tweedy und seiner Gitarre aufnehmen“, erzählt eine aufgekratzte Mavis am Telefon, „so haben wir damals gesungen, nur mit Pops an der Gitarre, ohne Rhythmusgruppe, Mavis unplugged.“ Pops war der Patriarch der Gospelfamilie Staples und die gravitätische Männerstimme.
Ein bisschen Strom hat Tweedy dann doch noch gegeben, und manchmal hat man den Eindruck, dass der alte Pops von ganz oben Regie führt. Der Gospelstandard „What are they doing in heaven today“ und die Tweedy-Komposition „My Lord knows every step of the way“ sind nah am Jenseits gebaut, ein Jenseits, von dem die äußerst vitale Mavis Staples ein ganzes Stück weiter entfernt zu sein scheint als der gebrechliche Cash zu Rubins Zeiten. Aber vielleicht kann man so ein Album nicht vermarkten ohne die Spekulation mit der Sterblichkeit: Whatever the product, death sells.
Von Qualität und Distinktion zeugt auch die Songauswahl: eine Handvoll Tweedys, drei Traditionals, ein Staple-Singers-Klassiker revisited, die Lagerfeuer-Rekonstruktion einer Funkadelic-Nummer, ein „Holy Ghost“ der Alt-Country-Dunkelmänner von Low.
Lowe, Nick, der britische Aristokrat der 2.30-Pop-Perle, steuert „Far Celestial Shore“ bei, das direkt ins Basement eines pinkfarbenen Holzhauses in den Catskill Mountains führt, wo einst The Band die Blaupause einer Musik entdeckten, die wir heute als Americana kennen, wenn auch meist als Americana light.
Immer wieder schielt Tweedy auf das All American Songbook. In „Every Step“ rekonstruiert seine Gitarre den düsteren Voodoo, mit dem die Baptistenfamilie Staples vor fünfzig Jahren Dylans „Masters of War“ eine teuflische Note gab und nebenbei die Themenpalette der Bürgerrechtsbewegung um den Krieg in Vietnam erweiterte. Apropos Dylan: Der hat nicht nur mit Mavis Staples gearbeitet, er wollte sie auch heiraten. Echt? „Ja, er hat bei Pops um meine Hand angehalten?“, der Rest der Antwort geht unter im kehligen Lachen. Klingt, als sei der junge Bobby nicht satisfaktionsfähig gewesen.
Auch die Beatles covert Staples auf dem neuen Album. „Revolution“ ist dummerweise nicht auf der Promo-Version. Ob sie sich an der Version von Nina Simone orientiert habe, die den politisch uneindeutigen Song vom 68er „Weißen Album“ militant reformuliert hatte? „Nein, ich habe mich an die Vorlage der Beatles gehalten. Aber Revolution ist nach wie vor ein Thema, es gibt immer noch diese Bigotterie, jeden Tag. Wenn eine schwarze Familie in eine weiße Gegend zieht, dann wird sie immer noch angefeindet.“
Die gutgelaunte Mavis wird ernst, dann ungefragt: „George Bush war der schlechteste Präsident, den wir je hatten.“ Und Obama? „Er hat gute Ideen, aber er hat noch nicht viel erreicht. Wir hätten gerne bei seiner Inauguration gespielt. Wir haben bei Carter und Clinton gespielt, aber diesmal nicht, schade. Aber er hat ja Aretha eingeladen, wenigstens eine von der old school.“
■ Mavis Staples: One true vine (Anti/Indigo)
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