Pakistanische Offensive im Grenzgebiet

Im Vorfeld des Besuchs von US-Präsident Bush greift die Armee Stellungen mutmaßlicher Terroristen in den autonomen Stammesgebieten nahe dem benachbarten Afghanistan an. Präsident Musharraf steht unter Druck

ISLAMABAD taz ■ Kurz vor einem Besuch von US-Präsident George W. Bush in Pakistan hat das dortige Militär eine Offensive gegen mutmaßliche Terroristen im Grenzgebiet zu Afghanistan eingeleitet. Dies berichtete der private pakistanische Fernsehsender Geo TV unter Berufung auf die lokale Verwaltung und Augenzeugen. Mit mehreren Kampfhubschraubern sei im Dorf Saidgai, das zum autonomen Stammesgebiet Nordwaziristan gehört, ein Ausbildungslager und ein Waffendepot angegriffen worden. Bis zu dreißig Menschen seien dabei getötet worden. „Es waren Ausländer, die ihre Zelte in den Bergen aufgebaut haben“, sagte Said Zahirul Islam, Vertreter der Provinzregierung der Region.

Die autonomen Stammesgebiete der Paschtunen im Nordwesten Pakistans gelten als Rückzugsgebiet und Ausgangsbasis für Anschläge der Taliban und al-Qaida nahe stehende Terrororganisationen in Afghanistan. Die beiden Gebiete Nord- und Südwaziristan sind überwiegend in der Hand lokaler Milizen, die sich selbst als Taliban bezeichnen. Im Dezember richteten sie in der größten Stadt Nordwaziristans, Miranshah, öffentlich über zwanzig „Kriminelle“ hin. Ein Journalist, der darüber berichtete, ist verschwunden.

Vergangene Woche wurde ebenfalls in Miranshah ein regierungsnaher Stammesfürst auf offener Straße erschossen, weil er sich für eine Kooperation mit der Militärregierung in Islamabad und gegen die Anwesenheit ausländischer Al-Qaida-Kämpfer aussprach. In Miranshah nahmen die Taliban aus Rache für den Militäreinsatz Angehörige der Bundesgrenzpolizei fest und ordneten die Schließung der lokalen Märkte und Geschäfte an.

Trotz der angeblich in der Grenzregion stationierten 80.000 Soldaten und Grenzpolizisten steht die Regierung von Präsident General Pervez Musharraf immer wieder in der internationalen Kritik, nicht entschieden genug gegen die ehemals vom CIA und pakistanischen Geheimdienst aufgebauten Taliban- und Al-Qaida-Gruppen vorzugehen. Die im benachbarten Afghanistan stationierten US-Truppen helfen sich deshalb häufig selbst und greifen die Dörfer direkt an. Bei einem derartigen Anschlag kamen im Januar in der Region Bajaur 18 Menschen, meist Kinder und Frauen, ums Leben. In Nordwaziristan starben bei einem Raketenangriff vor einem Monat sechs Personen, davon zwei Frauen und zwei Kinder.

Mit seiner Militäraktion versucht Musharraf, sich im Vorfeld des für kommenden Samstag geplanten Staatsbesuchs von Bush in ein besseres Licht zu setzten. Er braucht Erfolge, um seine vielfältigen Versprechen im Antiterrorkampf und die 600 Millionen Dollar jährliche Budgethilfe der USA rechtfertigen zu können. Bush verhalf Musharraf 2001 aus der Isolation, als dieser dem globalem Antiterrorkrieg der USA seine Unterstützung zusicherte.

Damals konnte Musharraf auf die islamistischen Parteien zählen, denen er eine führende Rolle in der Opposition einräumte. Für Bush war Musharraf der einzige Verbündete in der für Iran, Afghanistan, Indien und China strategisch bedeutsamen Region. In den letzten fünf Jahren hat Musharraf seine innenpolitischen Verbündeten verloren. Heute steht er wegen seiner Nähe zu Bush unter erheblichem Druck. Ein Großteil der Bevölkerung stellt sich gegen das Regime, dem es nicht gelungen ist, den Wirtschaftsaufschwung in Armutsbekämpfung umzusetzen. Musharraf will daher nicht auch noch die außenpolitische Unterstützung verlieren. Durch die besseren Beziehungen zwischen Washington und Neu Delhi und die politischen Veränderungen in Afghanistan hat Musharraf seine Sonderrolle bereits eingebüßt. Ohne Erfolge im Antiterrorkampf droht er auch die Rolle als Partner der USA zu verlieren. NILS ROSEMANN