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MANCHMAL IST U-BAHN FAHREN BESSER ALS TAXIGanz und gar nicht faszinierende Halbwelt

VON RENÉ HAMANN

Jasmin Tabatabai sprang aus dem Taxi. Sie trug ein leichtes Kleid, es regnete leicht, sie war nicht zu spät, musste aber noch rauchen. Die Leute tummelten sich im Foyer und bildeten die üblichen Schlangen vor dem Klo. Später saßen sie eingezwängt auf den alten Theaterstühlen und ließen zweieinhalb Stunden amerikanisches Theater der Nachkriegszeit über sich ergehen. Nein, so schlimm war es nicht. Im Kino ist es allerdings leichter, zwischendurch mal kurz zu verschwinden.

Nach der Applauskaskade ergaben sich ähnliche Schlangen wie vor dem Stück, nur die Besetzung war anders. Lange aufhalten wollten wir uns nicht, noch ein Lachsbrötchen, dann durch das garstige Wetter über die Brücke ins Cinema Café, wo wir abwechselnd im Raucher- und im Nichtraucherbereich saßen. Es war noch früh. Draußen, vor dem Fenster des Raucherbereichs, verhandelte eine Prostituierte mit reifenbreiten Oberschenkeln mit einem Freier, was uns dazu veranlasste, über die Faszination der Halbwelt zu philosophieren.

Als der Freier schließlich abzog, warum auch immer, wurde mir klar, dass ich mit dieser Sozialkonstruktion Halbwelt eigentlich nie wirklich was anfangen konnte. Die Halbwelt hat mich noch nie interessiert, nicht mal in der Kunst. Lastwagenfahrer kannte ich aus meiner Kindheit, Alkoholiker haben nur in den Stücken Tennessee Williams’ einen gewissen Glamour, und Spieler, Hehler, Luden, Prostituierte, Schieber? Na ja. Eine Krimi-Comic-Welt, die ich immer für relativ irreal gehalten habe. Hafenspelunken, Bahnhofsmilieus? Was sollten sie beweisen? Dass es unter der Boheme noch eine Boheme gab?

Vielleicht hat auch die Zeit zu sehr genagt an diesen Mythen. Bei Hubert Fichte und Jörg Fauser hatten Beschreibungen dieser Halbwelt noch Pfiff. Bei Helmut Krausser und Clemens Meyer wirken sie fast nur noch aufgesetzt. Dann lieber „Axolotl Roadkill“.

Auf die Veranstaltung am Freitagabend im WMF konnte ich leider nicht gehen (es hätte Texte von Hunter S. Thompson gegeben und einen Cameo-Auftritt von Airen). Plötzliche Bauchschmerzen, nichts Schlimmes, die habe ich immer mal wieder. Was auch immer andere aktuelle Gründe hat. Personifizierte. Stress. Zweifel. Überdruss. Ärger mit und wegen Leuten. Die Stalkerin, die untreue Lektorin mit ablehnender Haltung, die Halbfreundin, das blonde Glück, wer weiß. Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert.“ Aber kompliziert ist es ja immer.

So standen wir am Fenster des Cinema Cafés und rauchten weiter. Die Prostituierte stand seitlich zum Verkehr und wartete. Jasmin Tabatabai sah live fast besser aus als auf Leinwand, war mir noch aufgefallen. Die mieseste Bahnhofsgegend, die mir bekannt ist, befindet sich natürlich in Köln. Ein langes, dunkles Betonelend mit vielen unüberschaubaren Autotunneln und genauso vielen dunklen, vollurinierten Ecken. Ein Taxifahrercafé, das die ganze Nacht aufhatte, in dem es Fritten gab, die wochenaltem Fett entstiegen waren, und zwielichtige Typen, die mich damals auf dem Weg zurück zur Nachtschicht im Parkhaus der Philharmonie bis zur Kabinentür verfolgten, wo Gott sei Dank der Hundeführer samt eigentlich lammfrommen Schäferhund wartete. Auf der anderen Seite der Kabine suppte der Rhein die Altstadt voll. Ich las George Bataille. Die Lektorin hatte ich das erste Mal im Alten Wartesaal gesehen, der allerdings sehr schön war. Vor der Tür warteten die Taxis, um die aus dem Saal kommenden Gäste schnellstmöglich wegzubringen. Bahnhof Zoo ohne Zoo.

Zurück nahm ich die U-Bahn. Eine schöne Schwedin saß mir gegenüber und redete schwedisch. Ihr schöner Mund bewegte sich, als ob sie ständig nach Luft schnappen müsste. Manchmal ist U-Bahn besser als Taxi.

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