Ende des Denkmalschutzes

Frankreich verliert ein Testspiel gegen ein unerfahrenes Team aus der Slowakei mit 1:2 – Trainer Raymond Domenech zeigt sich nach der ersten Niederlage in seiner Amtszeit dennoch zufrieden

„Ich habe gesehen,was ich sehen wollte“

AUS PARIS RALF ITZEL

Mit dem Schlusspfiff nahm Raymond Domenech die Brille ab. Als wollte er nicht sehen, was da an den Anzeigetafeln geschrieben stand: France 1 Slovaquie 2. Die Ohren allerdings konnte sich der Trainer der französischen Nationalmannschaft nach der ersten Niederlage in seiner Amtszeit nicht zuhalten, denn er klatschte aufmunternd in die Hände, als seine Mannen an ihm vorbei Richtung Kabine strebten. Die 52.000 Zuschauer im Stade de France dagegen pfiffen, was das Zeug hielt. Verständlich nach der Blamage.

Kapitän Zinédine Zidane hatte die Equipe zuvor zum WM-Mitfavoriten hochgejazzt: „Wenn ich mir unsere Spieler so anschaue, wüsste ich nicht, wer uns beunruhigen sollte, außer Brasilien natürlich.“ Nun, vielleicht noch die Slowaken, ein Team, das im WM-Playoff in Spanien regelrecht zermalmt wurde (1:5), das in Paris ohne den verletzten Stammtorwart antrat und ohne den Kapitän Miroslav Karhan, der zu Hause in Wolfsburg bei seiner schwangeren Frau geblieben war; eine Elf, die sich im Neuaufbau befindet und mit mehreren Debütanten operierte, um die Qualifikation für die nächste EM vorzubereiten. Dort treffen die Slowaken unter anderem auf die deutsche Auswahl.

„Frankreich ist nicht so stark, wie ich glaubte“, analysierte der slowakische Trainer Dusan Galis, „Akteure wie Zidane, Henry oder Trezeguet kamen mir müde vor. Ich denke, die spielen zu oft.“ Die beiden letztgenannten Stürmer hatten einige Chancen, doch Bälle, die sie für Arsenal London und Juventus Turin blind verwandeln würden, versemmeln sie im Trikot der Nationalelf.

Zidane wurde zur Halbzeit ausgewechselt, war aber schon nach zwanzig Minuten kaum mehr zu sehen. Fußballfrankreich kann nur hoffen, dass sein Klub Real Madrid kommende Woche aus der Champions League fliegt, damit sich das alternde Genie bis zur Endrunde und dem Auftaktspiel der Franzosen am 13. Juni in Stuttgart gegen die Schweiz die ein oder andere Pause gönnen kann. Eine Alternative zu Zizou fördert Domenech ja nicht, der 54-Jährige weigert sich nach wie vor stur, Johan Micoud für dessen überzeugende Auftritte mit Werder Bremen zu belohnen, Robert Pirès von Arsenal London nach der lang zurückliegenden Kritik an seinen Methoden („Kinderkram“) zu begnadigen oder Marseilles Talent Franck Ribery aus der U-21 zu befördern.

So fehlt es Frankreichs Spiel ohne oder mit einem schwachen Zidane weiter an Linie und Klarheit. Und wenn dann auch noch die Angreifer patzen, geht es eben selbst gegen die Slowakei schief. Damit die Franzosen überhaupt ein Tor erzielten, brauchte es schon einen schmeichelhaften Elfmeter, den Wiltord zum 1:1 verwandelte (75.). Kurz zuvor hatte Szilard Nemeth, bei Racing Strassburg nur Ersatz, die Slowaken in Führung gebracht, kurz danach tat es ihm Jozef Valachovic von Rapid Wien nach. Es waren zwei tolle Schüsse, bei denen Torwart Fabien Barthez in den Verdacht geriet, zu wenig Sprungkraft und Reflexe zu haben. „Die Tore muss ich mir noch mal anschauen“, meinte der Fänger von Olympique Marseille selbst, „das ging sehr schnell.“ Eben. Der Glatzkopf wurde von Teilen des Publikums vom Start weg mit Pfiffen und Buhrufen getriezt. Das Volk ist sich offenbar im Klaren darüber, dass der Denkmalschutz für den einstigen Helden vorbei und Lyons Grégory Coupet klar der bessere Keeper ist. Domenech („Ich bin enttäuscht von den Zuschauern, das war skandalös und unannehmbar“) will das nicht einsehen, führt das Wechselspiel ähnlich wie Bundestrainer Jürgen Klinsmann fort. Erst Ende Mai will er sich endgültig festlegen.

Erst dann steht der nächste Test an, am 27. präsentieren sich die Mexikaner in Paris. So lange muss der Weltmeister von 1998 mit Zweifeln leben, so lange kann er die jüngsten Eindrücke nicht verwischen. Domenech sprach der ersten Niederlage in seinem 18. Spiel natürlich die Bedeutung ab. Das Ergebnis sei nicht weiter tragisch, meinte er, schließlich „habe ich gesehen, was ich sehen wollte: ein Team, das Lust hat, nach vorne zu gehen und Tore zu erzielen. Wir haben viele Chancen kreiert, und das zeigt, dass wir das Zeug haben, tollen Angriffsfußball zu bieten.“ Man hat nicht immer den Eindruck, dass der Mann den Durchblick hat. Mit oder ohne Brille.