Es spricht das andere Amerika

Ideentransfer in Sachen Kritik: Seit drei Jahren publiziert der Verlag Schwarzerfreitag aktivistische Schriften der US-amerikanischen Gegenöffentlichkeit in Deutschland

Aus europäischer Sicht schienen die US-amerikanische Gesellschaft und besonders ihre Medien nach dem 11. September 2001 von einem unkritischen Patriotismus infiziert zu sein, der keinerlei Reflexion über das Handeln der Bush-Regierung mehr zuließ. Beim allgemeinen rallying around the flag wollten sich auch Intellektuelle, Publizisten und Wissenschaftler keinesfalls nachsagen lassen, zu zimperlich mit den Feinden Amerikas umzugehen. Das Resultat ist hinreichend bekannt: Die Lügen der Bush-Regierung über das Waffenarsenal Saddam Husseins wurden auch in seriösen Medien unhinterfragt verbreitet, Guantánamo war kein Thema für die amerikanische Öffentlichkeit, und die CIA darf wieder heimlich töten, ohne dass dies auf Protest stößt.

Allerdings übersieht diese Perspektive, dass es in den USA stets und auch unmittelbar nach dem 11. September eine kritische Gegenöffentlichkeit gegeben hat, die ihre Stimme gegen die Aushöhlung der Bürgerrechte erhob, den undifferenzierten war on terror ablehnte und die Wiederherstellung der Meinungsfreiheit einforderte. Ein guter Teil dieser Kritik erschien in der 1991 von dem US-Aktivisten Greg Ruggiero gegründeten Open-Media-Reihe des New Yorker Verlags Seven Stories Press.

Die Bürgerrechtsanwältin Nancy Chang untersuchte dort die Gefährdung der Bürgerrechte durch den Patriot Act zur Terrorbekämpfung, Noam Chomsky legte bereits Anfang 2002 eine Analyse des 11. Septembers und seiner Folgen vor, Angela Davis plädierte für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse, und Robert McChesney und John Nichols prangerten die Unterminierung der demokratischen Öffentlichkeit durch die großen Medienkonzerne des Landes an. Dies sind nur einige der Stimmen und Themen des anderen Amerika, das es durchweg gegeben hat und auch unter Bush und Cheney weiterhin gibt – nur dass es in Europa kaum wahrgenommen wird.

Dies zu ändern hat sich der Berliner Verleger Andreas Freitag zur Aufgabe gemacht. In seinem 2003 gegründeten Verlag Schwarzerfreitag vertreibt er die medien-, globalisierungs- und Bush-kritischen Schriften der amerikanischen Gegenöffentlichkeit aus der Open-Media-Reihe Ruggieros. Der 35-Jährige will damit den deutsch-amerikanischen Ideentransfer stärken und Verbindungen zwischen den Gegenöffentlichkeiten beider Länder herstellen.

Darüber hinaus sieht er in den Schriften der Amerikaner auch Chancen für eine veränderte linke Diskussionskultur in Deutschland: „Die Bände der Open-Media-Reihe sind offen aktivistisch und haben eine politische Agenda. Auch Autoren wie Noam Chomsky und Howard Zinn, die beide eine akademische Reputation haben, verzichten in ihren Beiträgen bewusst auf Wissenschaftlichkeit und setzen stattdessen auf die offene Parteinahme als Bürger. Das trägt zur Verständlichkeit bei, spitzt aber vor allem die Kontroversen zu.“ Vergleiche man etwa die in Deutschland praktizierte Medienkritik mit den Fundamentalanalysen von McChesney und Nichols, werde deutlich, „dass bei uns eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit den Medien und ihrem Einfluss nicht stattfindet“.

Mit der Open-Media-Reihe will Freitag also nicht nur Ideentransfer betreiben, sondern auch die Diskurskultur beeinflussen – wenn möglich, beiderseits des Atlantiks: „Ich kann mir durchaus vorstellen, auch einmal den umgekehrten Weg zu gehen und ein deutsches Manuskript in der amerikanischen Reihe erscheinen zu lassen“, sagt der im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ansässige Verleger. So stehen der Netzwerkgedanke und der Wunsch nach gegenseitiger Beeinflussung von Diskussionssträngen im Vordergrund dieses linken Verlagsprojekts. Seinen Verlag selbst hat Freitag ebenfalls als lose verkoppeltes Netzwerk aufgebaut: Eine Übersetzerin sitzt in Seattle, ein anderer in Heidelberg, Lektoren in Hamburg und Frankfurt und der Grafiker der Reihe in Wien. Vielleicht sind derartige publizistische Strukturen das beste Mittel gegen den zunehmend zentralisierten Medien-Mainstream der veröffentlichten Meinung.

THYMIAN BUSSEMER

In der deutschen Open-Media-Reihe sind bislang erschienen: Nancy Chang: „Das Ende der Bürgerrechte?“ (12 €), Robert W. McChesney/John Nichols: „Unsere Medien?“ (11 €), Howard Zinn: „Künstler in Zeiten des Krieges“ (10 €), Noam Chomsky: „Die Zukunft des Staates“ (10 €) und Angela Y. Davis: „Eine Gesellschaft ohne Gefängnisse“ (11 €). Alle Titel können unter www.schwarzerfreitag.com eingesehen und bestellt werden