: Alles und nichts
Wuchtig dahingedämmert: Bernhard Schlinks Roman „Heimkehr“
Nach seinem vor zehn Jahren veröffentlichten und inzwischen in fast vierzig Sprachen übersetzten Millionenseller „Der Vorleser“ hat es Bernhard Schlink locker angehen lassen. Er schrieb einen Erzählband, schloss seinen Krimi-Zyklus mit dem Privatdetektiv Selb ab, widmete sich seinen Tätigkeiten als Jurist und hatte keine Eile, dem „Vorleser“ einen „richtigen“ Roman hinterherzuschicken. Jetzt aber liegt dieser vor, heißt „Heimkehr“ und vermittelt vor allem den Eindruck, dass Schlink gar nicht so locker war, wie es den Anschein hatte.
„Heimkehr“ ist der Versuch eines großen Wurfs, wobei nur schwer zu sagen ist, woraus der große literarische Wurf nun genau bestehen sollte. Denn der Roman ist thematisch pickepacke voll, und sein Erzählzentrum zeigt sich auch nach über der Hälfte der fast vierhundert Seiten nicht wirklich.
„Heimkehr“ beginnt als Kindheitsgeschichte, in der der junge Ich-Erzähler Peter Debauer die regelmäßigen Ferien seiner Kindheit in der Schweiz bei seinen Großeltern auspinselt. Bald geht die Kindheitsgeschichte in einen Rätselroman über, sie bekommt Richtung: Debauer liest einen der Heftchenromane, die seine Großeltern immer korrigiert und herausgegeben haben, die Geschichte einer Irrfahrt und Heimkehr eines deutschen Soldaten aus Russland.
Allerdings bricht die Geschichte ab, denn es sind nur Korrekturbögen, die Debauer seinerzeit als Schmierpapier verwenden durfte. Sie endet damit, dass der Mann zu Hause seine Frau mit zwei Kindern und einem anderen Mann vorfindet. Debauer kommt das Setting bekannt vor, Stadt, Straße, Haus. Er beginnt zu recherchieren, was ihn zu einer Frau führt, die in dem Haus lebt, in dem der Autor der Heftchengeschichte gelebt haben muss.
Anstatt konzentriert weiterzusuchen, verliebt sich Debauer in die Frau, und aus „Heimkehr“ wird ein Liebesroman mit ungewissem Ausgang, denn nach der allmählichen Verfertigung der Liebe kommt der schnelle Bruch: Die Frau ist mit jemand anderem verheiratet. Wie Debauer, der – inzwischen um die vierzig und als Lektor in einem Wissenschaftsverlag ordentlich gesettelt – vor einem öden, vor sich hin dämmernden Leben steht, ergeht es dem Leser: Er steht mitten in einem öden, träge vor sich hin dämmernden Roman, der autobiografische Züge trägt, zwar leicht und lässig dahingeschrieben ist, sein Ziel aber weiträumig umkreist.
Man ahnt natürlich bald, dass „Heimkehr“ auch ein Vater-Sohn-Roman sein soll, dass der Heftchengeschichtenautor Debauers vermeintlich verstorbener, nie gesehener Vater ist, ein in den Nazismus verstrickter Schweizer, der sich in die USA absetzte. Doch bevor es zu einem Treffen kommt, muss noch die Wiedervereinigung in den Roman, muss immer wieder Homers Odyssee in Stellung gebracht und mit Bildung nur so gehubert werden, was die Figuren oft zu Pappkameraden degradiert. Auch die Begegnung von Sohn und Vater ist dann eine mehr diskursive: Gut versus Böse, ohne Böse kein Gut, Recht versus Unrecht, Verantwortung versus philosophisch-dekonstruktivistische Spielereien.
Es endet mit einem Experiment, das Vater De Baur (ja, so heißt der) veranstaltet, um seinen Studenten (und seinem Sohn, der sich nicht offenbart) zu zeigen, wie viel Böses in ihnen schlummert. Uff! Uff! Janz schön happig! Nur hätte Schlink aus jedem seiner Stränge einen hübsch kompakten Roman schreiben können. Wollte er wohl nicht. Er wollte alles. Da kann auch die Mutter am Ende zu ihrem glücklich zu seiner großen Liebe heimgekehrten Sohn sagen, als dieser sie fragt, ob sie Großmutter werden wolle: „Ich will nichts.“ Und selbst dieser toll-kurze Dialog hätte noch Stoff für eine eigenständige Geschichte über eine kaltherzig-verzweifelte Mutter und ihren Sohn geliefert. ALEXANDER LEOPOLD
Bernhard Schlink: „Heimkehr“. Diogenes Verlag, Zürich 2006, 375 Seiten, 19,90 Euro
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