Normal im Sperrbezirk

Dass in Timmendorfer Strand nach dem ersten Vogelgrippe-Fall keine Panik ausgebrochen ist, mag auch an einem erfahrenen Krisenmanager in der Kurverwaltung liegen. Sogar die Touristen kommen fast alle. Leidtragende sind die Tiere, ob gefiedert oder nicht

von Mathias Becker

Der Nordostwind kräuselt die Ostsee und treibt einem die Farbe ins Gesicht. Die Straßen in Timmendorfer Strand sind wie leergefegt. Nur vereinzelt stapfen Menschen durch den Ort, die Kragen hochgeschlossen. Ausnahmezustand in der Sperrzone, eine Woche nach der toten Ente mit dem H5N1-Virus? Nein. Es ist bloß kalt an diesem Donnerstag nach dem gruseligen Fund im alten Kurpark. Die letzte Nacht hat einen Schneeschleier über den Badeort gezogen. Man übt den Alltag im Dorf – oder versucht es zumindest.

Das sah vor einer Woche noch ganz anders aus, als es hieß: Ente tot. H5N1-Virus bestätigt. Ein gutes Dutzend Kamerateams rollte vor die Kurverwaltung. Ganz Deutschland gierte nach Bildern aus dem Strandbad bei Lübeck. „Die haben sechs Stunden lang die Kameras auf die Enten im Brunnen gehalten, als warteten sie darauf, dass eine umkippt.“ Tourismusdirektor Christian Jaletzke ist verärgert über den Umgang der Medien mit dem Thema. „Vieles davon ist übertrieben.“

Zudem hielt die Kurverwaltung an jenem Freitag ein ganz anderes Thema in Atem: 30.000 Besucher wurden zum „Springworld-Wochenende“ mit „Beach-Dining“ und „Moonlight-Shopping“ erwartet. Dann kam die Nachricht von der Ente. „Das habe ich alles schon gehabt“, sagt Jaletzke. Er kennt sich aus mit Krisen. Als Sprecher des Hessischen Innenministeriums war er im November 1989 einer der ersten am Tatort des Attentats auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. 45 Fernsehteams dirigierte der groß gewachsene Mann an jenem Tag mit seiner Stimme, die keine Eile zu kennen scheint. Später war er Krisenberater für große Unternehmen, musste sich mit Erpressern herumschlagen. Ein Profi, der schon fast beängstigend sachlich bleiben kann.

Die Regelungen für das Sperrgebiet nehmen die Timmendorfer ernst. Das heißt: Katzen bleiben zu Hause, Hunde werden angeleint und frisches Geflügel wird weder ein- noch ausgeführt. Der Bauhof der Gemeinde ist dafür zuständig, tote Vögel einzusammeln und in das Landeslabor in Neumünster zu schicken. Notfalls mit bis zu 40 Mitarbeitern. 15 Tiere fanden sie seit November am sieben Kilometer langen Strand und in den beiden Kurparks. Nur eines davon war infiziert.

„Sperrgebiet klingt immer so, als dürfe man das nicht betreten“, meint Jaletzke. Doch davon ist Timmendorfer Strand weit entfernt, wie sich trotz des Seuchenalarms zeigte: Die erwarteten 30.000 Gäste pilgerten übers Wochenende an die Ostsee – trotz unfreundlicher Witterung. Gerade mal 26 von 10.000 Betten wurden storniert, 24 davon aber gleich wieder belegt. Macht unterm Strich zwei leere Betten. Krisenmanager Jaletzke verbucht das als Erfolg.

Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt in Timmendorfer Strand. Und wer nach Ängsten sucht, muss schon ein bisschen graben: „Ick bin nich besorgt“, berlinert Bodo Schmiedel, der für drei Tage mit einem Busunternehmen aus der Hauptstadt angereist ist. Für 199 Euro. Seine Strandspaziergänge mit Fernglas lässt der Naturfreund in der Windjacke sich nicht nehmen. Einen toten Vogel würde er zwar nicht anfassen, aber das gelte auch in vogelgrippefreien Zeiten.

Anwohnerin Thalia Mayer hat andere Sorgen: Mit ihrem Sohn Julian geht sie zur Zeit nicht an den Strand. „Da kann ich nicht kontrollieren, ob er nicht doch etwas anfasst“, sagt sie. Und die See läuft ja nicht weg. Doch auch zu Hause merkt der Vierjährige, dass irgendetwas nicht stimmt: „Unsere zwei Katzen dürfen ja zurzeit nicht raus“, so Mayer. „Die mauzen den ganzen Tag.“

Nicht weit vom Fundort der toten Ente wandern Gertrud Römer und Renate Gleißner über die matschigen Wege des Kurparks. Ihre Suche nach Auffälligkeiten unter den lebenden Artgenossen des verendeten Wassertieres blieb bislang ohne Ergebnis. Dennoch: „Am Strand hatte ich plötzlich ein ganz unangenehmes Gefühl“, berichtet Gleißner. Da habe sie den Küstenstreifen verlassen. „Auf seinen Bauch soll man ja hören.“ Mag er auch noch so vage Informationen senden.

Solche Gefühle kennt Christian Aulich nicht. „Ich gehe am Strand spazieren wie zuvor“, lässt der Einheimische wissen. Der einzige Unterschied: Sein Hund Benni bleibt an der Leine. Zwar hört der 18-monatige Vierbeiner, wie in der Hundeschule gelernt, aufs Wort. „Aber man weiß ja nie“, so Aulich. Zudem herrscht schließlich Leinenzwang.

Im „Fischimbiss“ nahe der Promenade begegnen die Einheimischen der Seuchengefahr nordisch-gelassen. Bei Kaffee und Lachssteak jagt ein Vogelgrippe-Witz den nächsten. Einer will wissen, dass beim „Beach-Dining“ das Entenragout abbestellt wurde. Stattdessen habe es Labskaus gegeben.

„Wir sind schon froh, dass die Verwaltung so professionell reagiert hat“, sagt Hans-Volker Schmidt. Aber an die drohende Pandemie will man nicht so recht glauben. „Vögel sind doch schon immer gestorben“, meint Helmut Hagelstein, fast als gäbe es die Gefahr eines Virus nicht. Dabei träfe ihn als Strandkorbvermieter eine Seuche besonders hart. Doch das ist heute kein Thema. An diesem kalten Wintertag ist Hagelstein eher damit beschäftigt, womit Strandkorbvermieter im Winter eben beschäftigt sind: „Auf den Sommer warten.“

Auf einen Sommer hoffentlich ohne Geflügelpest.