Protein aus der Qualle

Im „Biotechnikum“ der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Bergedorf erleben Schüler den naturwissenschaftlichen Arbeitsalltag. Die HAW hofft so mittelfristig auf mehr Bewerbungen

von Mathias Becker

Tobias Poch hält ein zartes Glasröhrchen in die Luft. „Das“, deutet sein Mitschüler Marco Falk den schimmernden Inhalt, „ist das Protein aus der Qualle.“ Die beiden 18-Jährigen haben soeben mit Hilfe aufwendigster Apparaturen ein Leuchtprotein in Bakterien eingepflanzt. Im Biounterricht war die Klasse auf das Thema vorbereitet worden – heute setzen die Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Pinneberg ihr Verständnis in Zweiergruppen in die Praxis um. Und üben gleichzeitig ihr Fingerspitzengefühl, denn die Arbeit an den fragilen Geräten erfordert Akribie.

Es gilt, Berührungsängste bei Schülern abzubauen

Blätter gucken unterm Mikroskop war gestern. „Der Versuch, den die Schüler durchführen, ähnelt der Produktion von Insulin“, erklärt Professor Oliver Ullrich von der Fakultät für Life Science der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Bergedorf das wissenschaftliche Prinzip des „Biotechnikums“. Das Schülerlabor, eigentlich schon seit fünf Monaten in Betrieb, wurde vor knapp drei Wochen offiziell eröffnet. Bevor man das Projekt den Geldgebern präsentierte, sollte es zunächst auf seine Akzeptanz getestet werden. Und die war mehr als zufriedenstellend: 350 Oberstufenschüler aus Hamburg und Schleswig-Holstein hantierten bislang in dem gekachelten Raum mit Pipetten und Zentrifugen. Bis zu 20 Teilnehmer sind jeden Dienstag dabei.

Im Vorfeld kann die Gruppe wählen: Anstatt das Leuchtprotein zu isolieren, können die jungen Wissenschaftler auch genetische Mutationen an Tomatenpflanzen vornehmen oder die Wirksamkeit von Krebsmedikamenten an tierischen Zellkulturen testen. Arbeit auf höchstem technischen Niveau.

Die Idee zu dem Projekt kam Ullrich, als er 2002 an die HAW berufen wurde. Er selbst hatte als Schüler auf Klassenreise ein meeresbiologisches Insitut auf Helgoland besucht – ein erster Schritt in Richtung seines heutigen Berufs. Diese Möglichkeit will der 45-Jährige nun weitergeben und verweist auf die geringe Zahl an Hochschulabgängern in den zukunftsträchtigen naturwissenschaftlich-technischen Fächern in Deutschland. Da gelte es, schon bei Schülern Berührungsängste abzubauen.

Es fehlt an Bewerbungen in allen Studiengängen

Mit diesem Argument holte Ullrich die Hamburger Körber-Stiftung und die Behörde für Wirtschaft und Arbeit mit ins Boot: 15.000 bzw. 20.000 Euro machten die für die Einrichtung des 160-Quadratmeter-Labors locker, weitere 15.000 kamen von der Wissenschaftsbehörde, die auch die laufenden Kosten von 150 Euro pro Experiment übernimmt. Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) lobte bei der Eröffnung denn auch die „Mitmach-Perspektive“ und bezeichnet das Labor als „Marketing-Instrument“ für die HAW.

Und Vermarktung kann die Hochschule gut gebrauchen: „Es fehlt an Bewerbungen in allen Studiengängen“, beklagt Pressesprecherin Katharina Jeorgakopulos. Die Umstellung von Diplom auf Bachelor und Master sieht sie nicht als Grund dafür. Die Bewerberzahlen waren schon vor der Einführung der neuen Abschlüsse rückläufig. Und so wurde Ullrichs Anregung, mit Schülern den naturwissenschaftlichen Arbeitsalltag lebensnah zu simulieren, mit Freude aufgenommen. Zumal Jeorgakopulos warnt: „Viele Studenten scheitern bereits am mathematischen Grundlagenstudium, bevor man sie überhaupt ins Labor lässt.“

Auch für Tobias Poch und Marco Falk endet an diesem Dienstag die Laufbahn als Naturwissenschaftler. Den beiden Gymnasiasten schwebt „eher ein Bürojob“ vor. Das war aber schon vor dem Tag im Labor so.

Für einen Tag im Biotechnikum können sich Grund- und Leistungskurse der Naturwissenschaften direkt bei Professor Oliver Ullrich anmelden: ☎ 428 75 62 83.