Die Hölle speit Perfektion

Wenn Gitarren foltern, Feedback waffentauglich wird und die Lautstärke jeder Beschreibung spottet: Beim Konzert der unfassbaren SunnO))) kam die Volksbühne als unheilige Ritualstätte zu sich selbst

VON ANDREAS HARTMANN

Stille. Endlich. Es ist spät geworden, der Schlund der Hölle war in der Volksbühne eine gefühlte Ewigkeit lang geöffnet. Nun saß man da und brachte kein Wort heraus, mühsam versuchte man, das Erlebte zu erfassen, und musste doch feststellen, etwas Unbegreiflichem beigewohnt zu haben. Ein gutes Gefühl: im Theater gewesen, den Zustand höchster Katharsis erreicht, danke für den Wahnsinn. Nach dem Auftritt von SunnO))) war alles, was an diesem denkwürdigen Abend vorher passiert war, weit in die Vergangenheit gerückt.

Dabei waren schon die zwangsläufig zu „Vorbands“ degradierten Shit And Shine und Earth mehr als nur gut. Vor allem Earth mit ihren bluesigen Heavy-Riffs in Zeitlupe spielten so hypnotisch, zermürbend und beklemmend, dass man um jeden Angst hatte, der vor dem Konzert Drogen zu sich genommen haben mochte. „Black Americana“ nennt Dylan Carlson, der Kopf der Band, seinen Versuch, den Teufel, dem sich bekanntlich bereits der große Bluesgitarrist Robert Johnson verschrieben hatte, erneut zu beschwören. Und wahrscheinlich kam es auch nicht von ungefähr, dass Carlson eine ähnliche Frisur trug wie Charles Manson bei seiner Gefangennahme.

Doch der Diabolus in Musica erschien danach. Schon als im völlig verdunkelten Theatersaal der Volksbühne ein akustischer Pesthauch, der einem schlagartig den Magen umdrehte, unheilvoll grummelte und dröhnte, war klar: Jedes Vorher ist bedeutungslos. SunnO))) haben sich ursprünglich als Earth-Tribute-Band verstanden. Doch inzwischen sind die Rollen umverteilt, der einstige Messias ist Prophet und SunnO))) die unumstrittenen Götter der dunklen Gitarrendrones. Während man nun auf die Offenbarung wartete, war man sich sicher, dass sich im Himmel über der Volksbühne tiefschwarze Wolken zu einer Dämonenfratze zusammenzogen – man war gekommen, um dem Weltuntergang beizuwohnen.

Das Licht war fahl, der Nebel waberte. Es war ein wenig wie bei diesen campen Filmen der Hammer-Studios, in denen selbst die billigsten Effekte immer gut genug sind, um für ein gepflegtes Gruselgefühl zu sorgen. Als der Nebel sich lichtete, standen wie hinexorziert geduckte Gestalten in mittelalterlichen Mönchskutten auf der Bühne. Eigentlich sind SunnO))) Steve O’ Malley und Greg Anderson. Aber der Mönche waren in dieser Nacht mehr: Zwei postierten sich an Effektgeräten außen an der Bühne, drei weitere griffen zu Gitarren, die in ihren Händen schlagartig zu etwas anderem wurden: zu Folterinstrumenten der unheiligen Inquisition, zu Monstranzen, die unerbittlich Ehrerbietung einforderten.

Fortan verlor man sich für beinahe zwei Stunden in einem Pandämonium aus ultra-heavy Gitarrenriffs, waffentauglichem Feedbacklärm, jeder Beschreibung spottender Lautstärke und einer visuellen Überwältigungsshow. Nur noch ein Gedanke: Endlich hat die Volksbühne zu sich selbst gefunden, sie wurde überhaupt nur deshalb errichtet, um heute dieses Konzert ausrichten zu dürfen. Alles war so dermaßen perfekt, dass es kaum auszuhalten war. Hinter Nebelwänden erhoben die Mönche immer wieder in Zeitlupe die Arme, gaben Zeichen und vollstreckten dann henkersgleich die gefällten Urteile. Mit jedem Akkord, den sie durch die turmhohen Verstärkerburgen schickten, beugten sie ihre Nacken, als würden sie selbst von der Urgewalt ihrer Krachkaskaden getroffen, als geißelten sie sich gerade selber.

Das war kein Konzert, das war eine Messe, eine schwarze Messe. Mit der Volksbühne als (un)heiliger Ritualstätte. Bizarr, brutal und verwirrend. Eine Band, die vor allem in Avantgarde-Kreisen rezipiert wird, machte deutlich, wie tief sie im Blackmetal verwurzelt ist und wie sie es versteht, die dort gepflegte Beschwörung des Urbösen als echtes Showelement zu zelebrieren.

Zur Halbzeit etwa wurde ein gefallener Engel im Rollstuhl auf die Bühne gekarrt. Mit bleich geschminktem Schmerzensgesicht erhob er sich alsbald und war fortan der Fürst der Finsternis. Nicht müde wurde er, mit unmenschlicher Stimme immer denselben unartikulierten Schrei eines Gepeinigten auszustoßen. Inzwischen wusste man nicht nur, welche Klangkulisse einen im Reich der Verdammten erwartet, sondern auch, was für Gestalten einem dort gegenübertreten.

Ausgehalten haben diesen Horrortrip, auf den einen SunnO))) und ihr seltsamer Todeslord mitnahmen, lang nicht alle in der zunächst sehr gut gefüllten Volksbühne. SunnO))) haben den Saal gut leer gespielt, was sie bestimmt mit dämonischer Freude erfüllte und wofür sie nach der Show aus Dank mit Sicherheit noch ein Opferritual vollführten.