Chinas KP entdeckt die Bauern wieder

Das am Sonntag beginnende Plenum des Volkskongresses soll Programm für die Landbevölkerung beschließen

PEKING taz ■ Chinas politische Führung sorgt sich um wachsende soziale Spannungen. Die große gesellschaftliche Ungleichheit ist darum eines der Hauptthemen auf dem Nationalen Volkskongress, dessen jährliches Plenum am Sonntag mit dem Rechenschaftsbericht von Ministerpräsident Wen Jiabao in Peking beginnt. In den folgenden zehn Tagen sollen die knapp 3.000 mit dem Segen der Kommunistischen Partei ausgewählten Delegierten den elften Fünfjahresplan beschließen.

Besonderes Augenmerk richtet sich auf die Lage der ländlichen Bevölkerung. In einem über 20 Jahre angelegtem Programm soll die Produktivität der Landwirtschaft erhöht und die Lebensbedingungen der 750 Millionen Bauern verbessert werden. Obwohl China in den letzten 20 Jahren weltweit die meisten Menschen aus der Armut befreite, muss die Volksrepublik weiterhin einen der größten Einkommensunterschiede bewältigen, der zudem weiter ansteigt.

In den Städten entsteht eine relativ wohlhabende Mittelschicht, die deutlich mehr als das Durchschnittseinkommen von umgerechnet 1.060 Euro pro Kopf und Jahr verdient. Zudem ist die Landbevölkerung weiterhin bürokratischen Diskriminierungen ausgesetzt. 2005 gab es mehrere blutige Proteste wegen Landenteignungen. Als ersten Schritt schaffte die Regierung in elf Provinzen das so genannte Hukou-System ab, das den Umzug in die Städte beschränkte.

Ein weiteres Konfliktfeld ist die große Umweltverschmutzung. Ein Großteil der offiziell knapp 87.000 sozialen Proteste 2005 ging darauf zurück. Als zweites großes Thema will der Volkskongress deswegen das Thema „Nachhaltigkeit“ in der Umweltpolitik behandeln. Laut Akademie für Umweltplanung sterben jährlich 400.000 Chinesen an den Folgen der Luftverschmutzung. Abseits der großen Städte haben viele Anwohner verschmutzter Flüsse keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Womöglich wird nun die Einführung eines „grünen BIP-Indexes“ diskutiert, der bei der Berechnung des Bruttoinlandprodukts Umweltkosten berücksichtigt.

Auch dieses Jahr dürfte wieder eine Erhöhung des Militärhaushalts um einen zweistelligen Prozentsatz beschlossen werden. Offiziell lagen die Ausgaben 2005 nach einer Steigerung von 12,6 Prozent bei umgerechnet 22,7 Milliarden Euro. Experten gehen davon aus, dass der wahre Etat viel höher ist und Japans Militärbudget von 34 Milliarden Euro übersteigt. Chinas weitere Aufrüstung dürfte die Spannungen mit Taiwan erhöhen.

Die in New York ansässige Organisation Human Rights in China kritisierte gestern, dass immer wieder Bürger, die dem Volkskongress Beschwerden vorbringen wollten, festgenommen und in ihre Heimatorte zurückgeschickt würden. Andere würden vor Protesten gewarnt oder an Reisen nach Peking gehindert. JOHANN VOLLMER