Ihr könnt alle bei mir schlafen

In der Ausstellung „Emolumente – Sammler zeigen ihre Kapielskis“ wird der Musiker, Schriftsteller und Biertrinker Thomas Kapielski zu seinem eigentlichen Gesamtkunstwerk

Es muss wohl so sein, die Vernissage ist schließlich schon ein paar Tage her: Der Künstler ist abwesend. Geblieben von ihm sind lediglich seine Schuhe, Socken und runtergelassenen Hosen, die auf einem Sockel inmitten des Raums thronen. „Der Künstler ist abwesend“, so heißt dieses Objekt von Thomas Kapielski, das man derzeit im Studio 2 des Künstlerhaus Bethanien im Rahmen der kleinen Ausstellung „Emolumente – Sammler zeigen ihre Kapielskis“ sehen kann. Doch ist er wirklich abwesend? Ist der Künstler nicht in jedem Werk dieser Ausstellung präsenter als die Werke selbst?

Thomas Kapielski, Berliner Künstler, Schriftsteller, Musiker, Dozent und passionierter Biertrinker – man könnte auch sagen: Bildungsbürger, Punkrocker, Nasenflötenorchestermitglied, Wertkonservativer, Modernisierungsverweigerer und furchtloser Autodidakt –, dieser Thomas Kapielski selbst ist das Kunstwerk. Und dieses besteht eben nicht nur aus Seele und Esprit, sondern genauso aus den Dingen des alltäglichen Bedarfs. Deshalb fehlt hier Kapielskis notorische Aktentasche an einem Haken unter der kürzesten Theke der Welt genauso wenig wie die Thomas-Kapielski-Zweitausendeins-Tragetasche, das brandneue vielbändige Kapielski-„Gesamtluftwerk“ (aus Polyurethan, zum Aufblasen) und ein Ende der Neunzigerjahre mit ordentlich viel Zahnbürsten und Rasierern gefüllter Becher mit der Aufschrift: „Ihr könnt alle bei mir schlafen“.

Man fühlt sich in diesem Ausstellungsraum wie in einer kleinen heimeligen Bastelstube. Wie bei Kapielskis zu Hause eben, wo nichts niet- und nagelfest genug ist, um nicht auch für einen kleinen Kunst-Gimmick herzuhalten. Wie die auf Sauftouren erbeuteten silbernen Ruhetags-Kneipenschilder, die fein säuberlich nebeneinander an der Wand hängen: von „Montag ist Ruhetag“ bis „Sonntag ist Ruhetag“. Selbstredend hat diese Ausstellung was von einer Zeitreise. Die Sammler haben auch noch ihre ältesten Kapielskis hervorgekramt, aus den frühen Achtzigerjahren, als das geniale Dilettantentum seine Hochzeit hatte und Künstlersein nur eine Frage des Selbstbewusstseins war. Nur sollte es für viele ganz schnell ganz ernst werden. Nicht mehr „Für immer Punk, das möchte ich sein“ war das ewig oberste Gebot, sondern der Kunstbetrieb Ziel allen Vor-sich-hin-Künstlerns, „dieser Kampf nach oben, wo jede Gelassenheit, wo das otium flöten geht“, wie Kapielski in seinem opus magnum „Sozialmanierismus“ formulierte.

Kapielski hat versucht, sich dieser Kunstbetriebsamkeit so gut es eben ging zu entziehen: Ein Selbstporträt von ihm gibt’s nur mit Toilettenpropf im Gesicht. Bis heute betrachtet er die Kunst zuvorderst „als Fortsetzung des Denkens mit anderen Mitteln“. Im Bethanien gibt es zwar viel zu sehen, doch betrachtet man die vielen Fotografien, Collagen und Gemälde genauer, versteht man, warum Kapielski auf eines seiner Bilder gekritzelt hat: „Hier gibt es wenig zu sehen, sondern viel zu denken.“ Der gespielte Witz, die wohlformulierte Sentenz ist für ihn genauso wichtig, wenn nicht gar wichtiger, als das zugehörige Objekt. Titel wie „Wort ohne K“ oder „Wenn Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit“ sind immer wesentlicher Teil der Werklein, wenn nicht gar ganz kippenbergerhaft die Mütter der Kunstkiste.

Es versteht sich, dass so was immer hart an der Grenze zum Kalauerhaften ist, dass hier so manche bierselige Dumpfheit dem Freigeist schwer in die Quere kommt. Doch das muss eben so, wenn Kunst und Künstler bevorzugt als abwesend behauptet werden, wenn hier einer dazu einlädt, sein inzwischen auf mehr als zwölf Titel angeschwollenes schriftstellerisches Werk nicht nur aufzublasen, sondern diesem auch immer wieder gleich die Luft herauszulassen. Und wehe, da sagt einer: Das ist doch alles nur Pose!GERRIT BARTELS

Thomas Kapielski: „Emolumente – Sammler zeigen ihre Kapielskis“. Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, bis 12. März, Mi.–So. 14–19 Uhr