Wider die Strandmentalität

Pierre Littbarski gewinnt in Australien seinen ersten Titel als Vereinstrainer. Große Aufmerksamkeit erregt der Gewinn der Fußballmeisterschaft durch den FC Sydney nicht – die Profiliga wird von Medien und Öffentlichkeit kaum wahrgenommen

AUS SYDNEY RONNY BLASCHKE

Die Umkleidekabinen des Aussie Stadium in Paddington, im Osten von Sydney gelegen, sind spartanisch eingerichtet. Die Wände haben seit fünfzehn Jahren keinen Pinsel gesehen. Kabel baumeln aus der Decke, die Schränke sind beschmiert. Pierre Littbarski, Trainer des FC Sydney, hat viel Zeit hier verbracht. Er saß oft er allein auf einer der brüchigen Massagebänke und feilte an taktischen Konzepten, lange bevor seine Spieler zum Training erschienen. Das Stadion war menschenleer, doch Littbarski fühlte sich wohl.

Am Sonntagabend gegen 19 Uhr Ortszeit war das anders. Mehr als 40.000 Zuschauer waren ins Aussie Stadium gekommen, so viele wie seit Jahren nicht mehr. In der tristen Kabine soll es ausnahmsweise ziemlich laut gewesen sein. Spieler und Funktionäre lagen sich in den Armen. Irgendwo dazwischen soll auch Pierre Littbarski gesichtet worden sein, Littbarski, 45, der Meistercoach. In seiner ersten Saison beim FC Sydney gewann er prompt den Titel der neu gegründeten A-League, der sieben Mannschaften aus Australien und ein Team aus Neuseeland angehören. 1:0 gewann Sydney das Finale durch ein Tor von Steve Corica (62.) gegen die Central Coast Mariners aus der Küstenstadt Gosford. Littbarski bezeichnet den ersten Titel seiner Trainerkarriere als eine historische Erfahrung: „Ein Traum ist in Erfüllung gegangen.“

Dem Weltmeister von 1990 war als Trainer nicht viel gelungen – bis Sonntag. Als Assistent von Berti Vogts scheiterte er 2000 in Leverkusen, als Cheftrainer beim MSV Duisburg ebenfalls. Als er merkte, dass seine Dienste in Deutschland nicht mehr erwünscht waren, zog es ihn zurück nach Japan, wo er Anfang der Neunzigerjahre seine aktive Karriere hatte ausklingen lassen. Er verschwand aus dem Blickfeld der Heimat und trainierte in der zweiten Liga. Irgendwann kam der Anruf aus Australien. Littbarski überlegte nicht lange und wurde Entwicklungshelfer auf dem fünften Kontinent – wo sie ihn dringend brauchten.

Littbarski ist die bekannteste Figur des australischen Fußballs – und doch nur ein Exot unter vielen. Noch immer führen die Fußballer ein bescheidenes Dasein im Schatten von Cricket, Rugby und Australian Rules Football, einer eigenwilligen Mischung aus Rugby und American Football. Mehrfach war der Versuch gescheitert, eine nationale Liga zu etablieren. Zu viele Vereine stritten sich um zu wenig Geld. „Aufbau ohne Basis“, nennt Littbarski deshalb seine Aufgabe: „In der Bundesliga wäre die Arbeit leichter, weil alles schon da ist.“

In Sydney muss er den Fußball nicht trainieren, er muss ihn beibringen. Während des Trainings wackelt er ständig mit seinen O-Beinen von einer Ecke des Platzes zur anderen, er spricht viel von Disziplin. „Hier ticken die Uhren anders. Wenn die Spieler Pause haben, haben sie Pause.“ Der Gewinn der Meisterschaft ist eine Motivationshilfe im Kampf gegen die Strandmentalität. „Wunschlos glücklich bin ich noch lange nicht“, sagt Littbarski. Er verkörpert das gute Gewissen der Minderheitensportart, das aber reicht nicht, um in die Nähe europäischer Standards zu gelangen, noch gleicht die A-League einer Ferienliga. Littbarski zieht einen Vergleich: „In Japan ging es schneller. Asiaten korrigieren Fehler schneller.“ In Fernost ist in kurzer Zeit ein System mit mehreren Ligen und flächendeckender Nachwuchsarbeit entstanden – die Australier sind davon weit entfernt, zu groß ist das Land, zu schwerfällig der Prozess.

Zumindest der Anfang ist gemacht. „Wichtig ist, dass wir die Finanzen in den Griff bekommen“, sagt Matt Carroll, der Geschäftsführer der A-League: „Aus dem Desaster der Vergangenheit haben wir gelernt.“ Die Verbandsbosse haben Klublizenzen nun nur an potente Unternehmer vergeben. Um die Gleichberechtigung zu garantieren, setzten sie eine Gehaltsgrenze für Spieler fest und richteten ein zentrales Marketing ein. Die Jahresetats bewegen sich zwischen 4 und 6 Millionen australischen Dollar, also 2,5 bis 3,5 Millionen Euro. Einem Bundesligisten steht mindestens das Zehnfache zur Verfügung. „Die Angst vor einem Finanzkollaps ist da“, erzählt Littbarski. Die Klubs haben kaum Sponsoren, sie sind abhängig von launigen Eignern. Und die wichtigste Einnahmequelle fehlt: das Fernsehen. Während die australischen TV-Kanäle Seven und Ten sich die Australian-Football-Rechte 500 Millionen Euro kosten ließen, darf der Pay-TV-Sender Fox Sports Fußball umsonst übertragen. Meldungen in den Zeitungen lassen sich nur mit der Lupe finden.

Dieser zaghaften Zuneigung steht die innige Liebe zur Nationalmannschaft gegenüber, die sich zum zweiten Mal nach 1974 für eine WM qualifizieren konnte. Im frei empfangbaren Fernsehen spielen nur die Nationalelf und die zumeist englischen Klubs ihrer Spieler eine Rolle. Die Marketingeinnahmen fehlen der Liga. „Jeder Verein hat mehr Verlust gemacht als erwartet“, sagt Michael Cockerill von der Zeitung The Sydney Morning Herald. Da hilft es wenig, dass fast eine Million Kinder und Jugendliche in Australien selbst kicken. Irgendwann wechseln die meisten später doch zu Rugby oder Cricket. Littbarski will künftig Werbefiguren aus dem Ausland verpflichten.

Nach Dwight Yorke aus Trinidad und Tobago, einst Titel sammelnder Stürmer bei Manchester United, soll auch der Italiener Roberto Baggio bald in Sydney spielen. „Wir brauchen Vorbilder“, sagt Littbarski. Mit Archie Thompson ist der letzte Nationalspieler im Januar aus Australien ins Ausland geflüchtet, er wechselte von Melbourne Victory zum PSV Eindhoven. Die besten Kicker des Landes, etwa 150, spielen in Europa und Asien. Der Ruhm im australischen Fußball ist den Fernfliegern vorbehalten ist. In Europa ist das Gegenteil der Fall. Doch damit hat sich der Weltreisende Pierre Littbarski längst abgefunden.