Knaller im Schnee

Nach dem Sieg des Hamburger SV in München hält sich der FC Bayern nicht lang mit den Nachwirkungen der Niederlage auf, sondern verspricht Besserung in der Champions League

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Wenn man nur reinschauen könnte in die Köpfe! Was da wohl alles passiert, wenn die Reporter mit ihren Kameras und Mikros anrücken, so kurz nach dem Spiel im Schnee. Und wenn sie dann noch einen Fabulierkünstler wie Oliver Kahn ergattert haben: wunderbar! Der meinte, dass man, also der FC Bayern, „selber schuld“ sei an der Niederlage. Dass man auch mal mit einem 1:1 zufrieden sein und dass man sich zurückziehen müsse. Keinen Freistoß mehr zulassen dürfe. Und dass das mit dem 0:1 „natürlich Pech“ war.

Natürlich. Keine Chance gegen diesen Knaller von Guy Demel, den französischen Nationalspieler des HSV. 47 Mal hat der Mann von der Elfenbeinküste für die Norddeutschen in der Bundesliga gegen den Ball getreten – und dabei nicht ein einziges Mal ins Tor getroffen. Auch in der 16. Minute des 24. Spieltags sah es nicht wirklich danach aus. Ballack hatte einen Van-der-Vaart-Freistoß dem Verteidiger Demel vor die Füße geköpfelt, und der schoss aus lauter Verzweiflung und sehr spitzem Winkel einfach mal aufs Kahn-Tor. Als habe es eine interne Verabredung gegeben, tauchte dieser nach rechts ins Ungewisse weg, machte das so genannte kurze Eck frei – und leitete so den ersten HSV-Sieg in München seit 24 Jahren ein.

Demel war damals ein paar Monate alt. Natürlich erinnerte er sich nicht mehr daran. Es machte ihm aber auch rein gar nichts aus. Wie zum Hohn erzielte ein weiterer bislang Torloser in der Schlussminute das entscheidende 1:2 nach Scholls fulminantem Ausgleich kurz zuvor: Nigel de Jong, bislang eher umstrittener Neu-Defensivkraft beim HSV. Noch nie haben ihn seine Spielkameraden so geherzt wie am Samstag um 17.20 Uhr.

Der FC Bayern hat ein Fußballspiel verloren. In der Allianz-Arena. Das gab’s noch nie. 11 Heimspiele, 11 Siege, 18 Pflichtspiele, 17 Siege, ein Remis – warum sollte diese Serie je reißen? Das 1:2 gegen Hamburg war die erste Heimniederlage seit 17 Monaten, seit dem 0:1 gegen Schalke am 16. Oktober 2004. 2004! Wie überfällig war das denn wohl? Andererseits: Was soll’s? Der Vorsprung auf Bremen und Hamburg beträgt neun Spieltage vor Saisonende immer noch acht Punkte – warum also aufregen? Außer Käpten Kahn tut das nach außen ja auch niemand. Chef Magath gab sich gewohnt kontrolliert, auch wenn er auf manche Frage grillig antwortete: „Ich glaube nicht, dass diese Niederlage Auswirkungen auf das Spiel in Mailand haben wird. Es ist völlig wurscht, ob wir mit einer Niederlage nach Mailand fahren. Wir müssen daraufhin arbeiten, dass wir nicht den Hauch eines Zweifels am Weiterkommen aufkommen lassen.“ Auch bei ihm würden wir allzu gerne mal nachsehen, wie es im Oberstübchen tatsächlich aussieht.

Könnte sein, dass sich da auch ganz andere Szenarien abspielen: Der FCB scheidet am Mittwoch gegen die Mailänder Ergebniskönige aus der zum einzig wahren Saisonziel deklarierten Champions League aus, hat drei Tage danach höchste Nöte sich für die Partie in Wolfsburg zu einer ordentlichen Leistung aufzuraffen – und prompt schrumpft der ach so komfortable Vorsprung nach Bremens Heimsieg gegen Hertha und Hamburgs Erfolg gegen Lautern auf fünf Punkte – vor dem Spiel gegen den erstarkten ehemaligen Meisterschaftskonkurrenten aus Schalke. Aber so etwas würde Magath natürlich nie sagen.

Selbst wenn er es in ähnlicher Weise gedacht hätte. Magath sagt derweil Sätze wie: „Wir hatten Mailand von Beginn an in den Köpfen. Deshalb haben wir schlecht ausgesehen am Anfang.“ Naja, und am Schluss ja irgendwie auch. Das Mailand-Spiel ist der Schlüssel für die Zukunft des FC Bayern. Sollten die Münchner, die in Italien wohl ohne Abwehrspieler Lizarazu und Stürmer Guerrero auskommen müssen, rausfliegen, dann dürfte die Bayern-Motivation für die Rest-Bundesliga eher dürftig sein. Die Aussicht auf den 20. deutschen Meistertitel wird vergleichsweise wenig Zusatzkräfte freisetzen und auch einen Michael Ballack in seinen Wechselabsichten eher bestärken.

Aber wer weiß? Vielleicht werden dem Mittelfeldmann irgendwann in London, Madrid oder sonst wo diese herrlichen Oli-Kahn-Sätze fehlen: „Die Mannschaft muss verstehen, dass wir um die deutsche Meisterschaft spielen und nicht um die Stadtmeisterschaft.“ Will sagen: Wenn der FC Bayern München selbst das nicht mehr schafft, ist das einzig und allein Pech. Natürlich.