Spiel ums Leben

EMANZIPATION Beim Fußballfestival Discover Football spielen Frauenteams aus dem arabischen Raum. Doch eines fehlt

„Wir spielen Fußball, weil es uns stark und frei macht. Wenn ich nicht Fußball im Verein spielen würde, wäre ich sicher schon verheiratet und würde das Haus kaum verlassen dürfen“

SOLEEN ALZOUBI, ORTHODOX CLUB AMMAN

AUS BERLIN UND TRIPOLIS MIRCO KEILBERTH

Der Arabische Frühling ist zur Zeit im Kreuzberger Willi-Kressmann-Stadion zu Besuch. Die Macherinnen des Fußballfestivals Discover Football haben Frauenteams aus Jordanien, Palästina, Ägypten und Tunesien nach Berlin geladen. Bis Sonntag messen sie sich mit einer All-Star-Auswahl aus Polen und der Ukraine sowie zwei Berliner Mannschaften. „Neun Länder, acht Teams und eine Sprache“ ist das Motto der weltweit einzigartigen Veranstaltungswoche. Zum dritten Mal finden Workshops, Trainingseinheiten und eine „alternativen Weltmeisterschaft“ statt. Discover Football versteht sich als Netzwerk für Frauenfußballerinnen, in diesem Jahr mit Fokus auf die arabische Welt.

Dabei geht es um mehr als Spaß am Spiel. „Das Recht, Fußball zu spielen, musste ich mir hart erkämpfen“, sagt Soleen Alzoubi aus der jordanischen Hauptstadt Amman. „Wir spielen Fußball, weil es uns stark und frei macht. Wenn ich nicht Fußball im Verein spielen würde, wäre ich sicher schon verheiratet und würde das Haus kaum verlassen dürfen. So ist es vielen meiner Mitspielerinnen schon ergangen“, sagt die 27-Jährige.

Gerade in den Ländern des Arabischen Frühlings wettern Ultrakonservative dagegen, dass Frauen überhaupt Sport treiben dürfen. Deren Druck musste sich die neu geschaffene libysche Frauen-Nationalmannschaft vor Turnierbeginn beugen und ihre Teilnahme absagen. Auf Druck der Fifa hatte der libysche Fußballverband erst im Frühjahr ein Frauenteam gegründet und wurde von Bewerberinnen geradezu überrannt. „Den Arabischen Frühling verstehen viele Frauen in Nordafrika als Chance, aus der von Männern auferlegten Isolation auszubrechen. Doch Konservative wie der Fernsehprediger Salim Jabar aus Bengasi wehren sich vehement. „Indem sie sich so in der Öffentlichkeit zeigen, bringen die Mädchen Schande auf ihre Familien und verkaufen sich selbst“, polterte er kürzlich und erhielt Unterstützung von Milizen wie Ansar al-Scharia.

Nationaltrainer Emmad al-Fadeih hoffte bis zum letzten Moment auf einen Auftritt in Berlin. „Die Spielerinnen trainieren an einem geheimen Ort, spielen in langen Hosen und mit Kopftuch, wie vom Verband gefordert.“ Doch Verbandschef Anwar al-Tashan beugte sich schließlich dem Druck, begründete das Reiseverbot jedoch mit dem Ramadan. „Die Absage ist kein grundsätzliches Spielverbot, Fasten und Fußball passen einfach nicht zusammen. Unsere Entscheidung hat nichts mit irgendwelchen Islamisten zu tun“, bekräftigt al-Tashan in Tripolis.

Die 25-jährige Mittelfeldspielerin Fatwa El Bahi ist tief enttäuscht von der Absage und glaubt nicht, dass der Koran Frauen verbietet, Sport zu machen. „Der Prophet Mohammed hat sich mit seiner Frau sogar sportlich gemessen. Wir sind zudem ein gutes Beispiel für Versöhnung, in unserer Mannschaft gibt es sowohl Revolutionäre als auch Gaddafi-Anhänger. Politik interessiert uns nicht, wir wollen einfach Fußball spielen.“

Das taten am Mittwoch unter anderem die Teams aus Jordanien und dem Libanon. Erschöpft liegen nach dem Abpfiff einige Spielerinnen am Boden, Sanitäter behandeln zwei Libanesinnen nach einem Zusammenprall. Verdacht auf Jochbeinbruch. Im Spiel gegen das Team aus Amman kämpften sie verbissen um jeden Ball.

Wie auch in Jordanien ist im Libanon die Kritik an Frauenfußball einem Stolz auf die Mannschaften gewichen. Der libanesische Botschafter unterstützt die Spielerinnen, zahlreiche Libanesen unter den 700 Zuschauern feuern ihr Team an. Gegen die Jordanierinnen hat es trotzdem nur zu einem Unentschieden gereicht. Die Mädchen von Orthodox Amman trotten mit hängenden Schultern vom Feld. Außer Torhüterin Mesada Naseem Ramounieh trägt niemand ein Kopftuch, ihre Mitspielerinnen laufen in kurze Hosen und Fußball-Jerseys auf. Mesada musste sich neben den Konservativen auch gegen die Fifa durchsetzen. „Ich möchte mit Kopftuch spielen, das vom Weltverband lange verbannt war, sogar das iranische Team war von Turnieren ausgeschlossen.“ Obwohl Orthodox Amman 1954 als christlicher Club gegründet wurde, sind die meisten Spielerinnen Musliminnen. „Die Religion spielt keine Rolle bei uns“, sagt Zeina Petro, eine Christin. Zusammen mit Soleen Alzoubi, eine Muslimin, spielt Petro im jordanischen Nationalteam und trainiert junge Nachwuchsspielerinnen. „Natürlich wurden wir komisch angeschaut, wenn wir früher auf der Straße Fußball spielten. Also haben wir wie verrückt trainiert und in der Fußballakademie sogar den Trainerschein gemacht.“

Seitdem die jordanische Nationalmannschaft 2005 den West-Asian Cup gewann, berichtet die Presse regelmäßig über das Team; eine Liga mit acht Mannschaften wurde aufgebaut. „Seit diesem Jahr gibt es sogar Mädchenmannschaften an Schulen“, freut sich Soleen. Motor der Entwicklung ist Prinz Ali Bin Hussein. Der Vizepräsident der Fifa fördert Frauenfußball, er hat Jordanien zum Vorzeigeland des arabischen Frauenfußballs gemacht. „Fußball hat mein Leben verändert“, sagt Soleen. „Auf dem Spielfeld habe ich gelernt, mich durchzusetzen und für meine Sache zu kämpfen. Ich möchte nicht den ganzen Tag am Herd stehen. So ist es vielen meiner Freundinnen nach der Heirat ergangen. Ich spiele für mein Land und mein Leben.“