„Wir leben in einer Kultur der Verantwortung“
: Je Glauben, desto Gesinnung

Besonders Männer sprechen öffentlich ganz gern von Verantwortung. Aber was meinen sie damit? Einige Übersetzungen von Arno Frank
THOMAS DE MAIZIÈRE, BUNDESVERTEIDIGUNGSMINISTER

Hier wird die „Verantwortung“, an sich schon ein gravitätischer Begriff, noch von der „Kultur“ erdrückt. Kultur ist immer gut, weshalb Zeitgenossinnen vom Schlage einer Margot Käßmann nicht müde werden, fortwährend irgendeine „Kultur“ zu fordern, die „des Zuhörens“ oder „des Hinschauens“. Nicht so hier, wo die wünschenswerte Kultur bereits Wirklichkeit geworden ist. Wir leben darin, in dieser Kultur. Sie ist gekennzeichnet durch Verantwortung. Folglich ist die Einforderung derselben absurd. Ein rhetorischer Zaubertrick, bei dem das Eigentliche – die Verantwortung – sich in der Allgemeinheit auflöst wie ein Mordopfer in Salzsäure.

„Ich übernehme keine persönliche Verantwortung für die mehrfache Verschiebung der Eröffnung“
KLAUS WOWEREIT, REGIERENDER BÜRGERMEISTER BERLINS, ÜBER DAS DEBAKEL DES FLUGHAFENS BER

So geht das. Dieser Satz bedeutet: „Rutscht mir den Buckel runter, Leute, ich trete nicht zurück!“ Als Aufsichtsratschef präsidierte er über den skandalösen Bau des neuen Berliner Flughafens, bei dem eine Verschiebung des Neueröffnungstermins der nächsten folgte, bis es nicht mal mehr einen Termin gab. Da trifft ihn vielleicht keine moralische, aber doch sicher eine politische Verantwortung. Wowereit streitet das nicht ab, sondern atomisiert den Begriff einfach weiter, indem er die persönliche Verantwortung von sich weist. Persönlich soll er ja ein netter Kerl sein. Zurückgetreten ist er dann übrigens doch. Als Aufsichtsratschef.

„Gerade Leute wie ich, die wirtschaftlich ziemlich unabhängig und sehr erfolgreich sind, die müssen immer mehr auch soziale Verantwortung übernehmen“
ULI HOENESS, PRÄSIDENT FC BAYERN MÜNCHEN

Ein besonders interessanter und auch tragischer Fall, bei dem die Verantwortung auf mehrere Facetten einer Persönlichkeit unterschiedlich verteilt ist. Während das „Es“ unversteuerte Millionen seelenruhig auf helvetischen Konten parkt, schwadroniert gleichzeitig das „Über-Ich“ schuldbewusst von sozialer Verantwortung – Sigmund Freud hätte seine Freude daran.

„Aber gerade unsere Geschichte sagt uns doch: Wir dürfen uns nicht aus der Verantwortung stehlen“
JOACHIM GAUCK, BUNDESPRÄSIDENT

Internationale Spitzenverantwortung mit Pfiff? Das muss Deutschland sein! Wie immer will sich dieses Land heimlich aus der Verantwortung stehlen wie ein Betrunkener aus dem Club, durch die Hintertür der Geschichte. Aber die Geschichte hat die Hintertür verrammelt und sagt: „Gerade weil du zuletzt das komplette Viertel niedergebrannt hast, wissen wir, dass du ein heißer Typ bist! Tanz mit, wir haben alle wieder Spaß!“

„Bitte sehr, heute willst du mit dem Finger auf mich zeigen / Und mir die Schuld geben für was immer sie auch treiben/ Kein Ding, ich hab mich nie vor Verantwortung gedrückt“
BUSHIDO, RAPPER

Tja. Bushido. Dieses wäre dann, was sich der Pöbel unter Verantwortung vorstellt. Er ist selbst nicht schuld, wird der Taten anderer Leute bezichtigt, aber, hey, kein Ding, er steht dafür gerade. Weil er’s kann und an seiner stolzgeschwellten Brust noch ganz andere Sachen abprallen würden. Bundesverdienstkreuze, Kugeln, so was alles …

„Das Problem der Verantwortung hätte nur einen Sinn, wenn man uns vor unserer Geburt befragt hätte und wir eingewilligt hätten, ebender zu sein, der wir sind“
E. M. CIORAN, PHILOSOPH

Hier tritt das Schicksal ein und nimmt uns alle Verantwortung sanft aus der Hand. Für den pessimistischsten aller Philosophen ist das Leben eine Zumutung und Freiheit „die Freiheit, Hand an uns zu legen“. Der Mann plädierte stets für die Verantwortungslosigkeit. Also für die weise Geste, erst gar keine Verantwortung zu übernehmen.

„I have never felt so much responsibility for something“
SCHAUSPIELERIN ANGELINA JOLIE ÜBER IHREN FILM „IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY“, DER DEN JUGOSLAWIENKRIEG BEHANDELT

Die „responsibility“ Außenstehender darf nicht damit verwechselt werden, was hierzulande als „Mitverantwortung“ bezeichnet wird. Der Krieg in Jugoslawien ist seit Jahrzehnten vorbei und ging Angelina Jolie nie etwas an. Aber die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema hat die Diva tief berührt. Nun ist sie von ihrer Betroffenheit so beschwipst, dass sie diese Betroffenheit mit Verantwortung verwechselt. Na ja. Vielleicht ein Übersetzungsfehler.

„Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis“
ADOLF SAUERLAND, EHEMALIGER BÜRGERMEISTER VON DUISBURG

Zurücktreten wollte der Oberbürgermeister der Stadt Duisburg dann doch nicht, obwohl bei der von ihm genehmigten Loveparade 21 Menschen ums Leben kamen. Deshalb sprach er auch von „moralischer Verantwortung“, was hier nicht mehr heißt als: „Das geht mir sehr nahe, denn ich liebe euch doch alle!“ Hätte er neben der wohlfeilen moralischen auch so etwas wie eine politische Verantwortung empfunden – er hätte sofort zurücktreten müssen, statt sich erst Jahre später von den eigenen Bürgern aus dem Amt kegeln zu lassen.

„Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt“
ALBERT SCHWEITZER, THEOLOGE

Ein seltener Fall von Verantwortung, die keine Verantwortung „als“ Eltern, „als“ Politiker oder „als“ Künstler ist – sondern in eine ethische Mystik transzendiert, weil ihr Träger sich in aller Tiefe als Mensch versteht. Was lebt, will leben, und als höchstes Lebewesen hat man anderen Lebewesen dabei behilflich zu sein. Endstation Lambarene.

„Der Preis von Einfluss ist Verantwortung“
THOMAS DE MAIZIÈRE, BUNDESVERTEIDIGUNGSMINISTER

So spricht wiederum kein Christ, sondern ein Macchiavellist. Es ächzt der Fürst über das Gewicht der Entscheidungen, die zu fällen ihm alleine überlassen bleibt. Armer Fürst. Schwer trägt er an seiner Macht, die sich in einer Demokratie als Einfluss äußert. Dieser Einfluss wird mit Verantwortung bezahlt, weil er kein Privatvergnügen ist. Der Satz bedeutet übersetzt: „Ich kann viel, aber leider auch nicht alles machen, was ich will.“ Im Grunde handelt es sich um eine Variation auf einen Satz von Winston Churchill: „Der Preis der Größe heißt Verantwortung.“

„Verantwortung zu übernehmen heißt, die Folgen des eigenen politischen Handelns zu bedenken“
BARACK OBAMA, US-PRÄSIDENT

Stimmt. Das können wir in seiner erhabenen Schlichtheit einfach so stehen lassen und auf Zehenspitzen zum nächsten Beispiel schleichen …

„Verantwortung, die aus einem festen Glauben übernommen wird, tut gut, uns selbst und allen“
THOMAS DE MAIZIÈRE, BUNDESVERTEIDIGUNGSMINISTER

Max Weber unterscheidet die Verantwortungsethik von der Gesinnungsethik. Der Verantwortungsethiker hat demnach „für die voraussehbaren Folgen seines Handelns aufzukommen“. Der Gesinnungsethiker dagegen handelt nach dem Prinzip: „Der Christ tut recht und stellt Erfolg anheim“, macht also seine Überzeugungen zur Grundlage seiner Entscheidungen. Das bedeutet: Je fester der Glauben, desto Gesinnung die Ethik, Vernunft wird überbewertet, listen to your heart. Die Behauptung, dies täte auch noch gut, „uns selbst und allen“, rundet diesen Satz zur Kirchentagsfloskel.