MALI ERLEIDET WAHLKAMPF IM RAMADAN
: 40 Grad ohne Schatten

VON KATRIN GÄNSLER

AUS GAO

Irgendwann gegen neun Uhr morgens ist das Thermometer in Gao schon längst auf über 35 Grad Celsius geklettert. Kein Lüftchen weht mehr in der größten Stadt im Norden von Mali, in den Häusern summt kein Ventilator, geschweige denn eine Klimaanlage. Seit der Islamistenherrschaft gibt es nirgendwo tagsüber Strom. Auch abends wird er nur spärlich verteilt. Dabei war es früher mal üblich, rund um die Uhr Strom zu haben.

Spätestens gegen Mittag setzt also die große Müdigkeit ein. „Das ist gerade nicht leicht. Die Müdigkeit eben.“ Diesen Satz hört man ständig, und mit ihm kann man im Moment alles entschuldigen. Jedes Zuspätkommen, die eigene Trägheit und sämtliche Unaufmerksamkeiten. All das wäre halb so schlimm, wenn nicht noch der Ramadan hinzukäme. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, also hier von morgens 5.30 Uhr bis abends 18.30 Uhr, darf im islamischen Fastenmonat weder gegessen noch getrunken werden. Tagsüber tut man möglichst wenig.

Dabei sollten die Malier doch jetzt aktiver denn je sein. Schließlich ist Wahlkampf, am Sonntag finden die ersten Präsidentschaftswahlen seit den Wirren des letzten Jahres statt. Die 27 Kandidaten ziehen durch das ganze Land, um Anhänger zu mobilisieren.

Auf dem Platz der Unabhängigkeit in Gao sollte Modibo Sidibé eigentlich längst angekommen sein. Seine Anhänger warten und schwitzen. Schatten gibt es kaum. Die Zahl der Besucher hält sich logischerweise in Grenzen. Ab und zu hält ein Lkw und karrt noch ein paar mehr Leute heran, eingekleidet in Sidibé-T-Shirts.

Im Ramadan ist in Mali noch nie gewählt worden. Von offizieller Seite heißt es immer wieder: Kein Problem! „Das sind wir doch gewohnt“, hatte Imam Mahmoud Dicko behauptet, Präsident des Hohen Islamischen Rates in Bamako. „Das Fasten kennen wir.“ Er hat gut reden. Bei ihm im Büro surrt die Klimaanlage.

In Gao knallt die Sonne mit jeder Stunde heftiger. „Sonst ist es besser“, seufzt eine Getränkeverkäuferin. Modibo Sidibé ist immer noch nicht da. „Er kommt bestimmt gleich“, sagt einer der Wartenden und zieht die Schirmmütze tiefer ins Gesicht, der einzige Schutz gegen die Sonne. Verstohlen schaut er einer Frau zu, die Wasser verkauft. Aber er widersteht der Versuchung. „Es geht schon“, sagt er. Er meint: Es geht eigentlich gar nicht. Veranstaltungen wie diese bedeuten normalerweise für Händler ein Zusatzgeschäft. Doch jetzt wird höchstens abgepacktes Tütenwasser gekauft, um sich die Hände abzuwaschen. 90 Prozent der Einwohner Malis bekennen sich zum Islam, im Ramadan zeigen sie das besonders deutlich. Mit einer Note, die Islamisten gar nicht gefällt: In Kühlboxen wird Bier für den Abend kaltgestellt.

Die Mittagsstunde ist vorbei, Modibo Sidibé ist noch immer nicht da. Der Platz leert sich wieder. Es wird Zeit zum Beten. Und vielleicht gibt es auch eine Eimerdusche, wenn irgendwo Wasser aufzutreiben ist. Dann geht es am besten aufs Sofa oder auf eine geflochtene Matte. Irgendwo in den Schatten. Und ein bisschen Wind.

Pech für Modibo Sidibé. Als er endlich kommt, sind seine Leute größtenteils schon wieder weg. 40 Grad ohne Schatten, das hält niemand stundenlang aus. Statt eines Großauftritts fährt er also einfach ein paarmal durch die Stadt. Menschenmengen am Straßenrand? Fehlanzeige. Tee wird gekocht, getrocknete Datteln werden eingeweicht. Das ist doch viel wichtiger.