Die neue Führung ruft zum Prostet

ÄGYPTEN Tausende folgen dem überraschenden Aufruf der Armeeführung, auf die Straßen zu gehen. Sie sollen dem Militär ein Mandat erteilen, härter durchzugreifen. Muslimbrüder werten das als Aufruf zum Bürgerkrieg

AUS ALEXANDRIA JANNIS HAGMANN

Der Aufruf zu Massenprotesten kam überraschend: Niemand anderes als Armeechef Abdel Fattah al-Sisi selbst hatte die Ägypter aufgefordert, am Freitag in „Millionenzahl“ auf die Straße zu gehen, um Armee und Polizei ein „Mandat zur Bekämpfung des Terrors“ zu erteilen. Schon am frühen Freitagnachmittag versammelten sich in Kairo, Alexandria und anderen Städten Ägyptens Tausende Unterstützer des Militärs auf der einen sowie Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohammed Mursi auf der anderen Seite. „Nein zum Terrorismus“, schrieben Mursi-Gegner in Alexandria in Riesenbuchstaben auf den Asphalt.

Das Militär hatte Mursi am 3. Juni nach Massenprotesten abgesetzt. Unklar ist, was al-Sisi mit seinem jüngsten Protestaufruf bezweckt. Will er allein ein hartes Vorgehen gegen islamistische Extremisten auf dem Sinai legitimieren oder auch gegen Mursi-Anhänger anderswo vorgehen? Oder plant er gar, den Notstand auszurufen? Unter den Mursi-Anhängern macht das Gerücht die Runde, die Armeeführung plane, die weiter anhaltenden Großkundgebungen der Mursi-Anhänger in Kairo zu räumen.

Zu ersten Auseinandersetzungen kam es in Alexandria bereits am Nachmittag, als Mursi-Gegner sich der Kundgebung der Mursi-Anhänger auf der Strandpromenade näherten. Dutzende Demonstranten bewarfen sich mit Steinen, Schüsse fielen. Bei Redaktionsschluss war unklar, ob Menschen verletzt wurden.

Ein Großteil der Mursi-Gegner hatte den Protestaufruf al-Sisis unterstützt. Allerdings gab es auch innerhalb des Anti-Mursi-Lagers kritische Stimmen. Sowohl die Bewegung des 6. Aprils, die maßgeblich am Sturz von Exdiktator Husni Mubarak 2011 beteiligt war, sowie die einflussreiche salafistische Nur-Partei forderten ihre Anhänger nicht dazu auf, sich an den Protesten zu beteiligen. Die Armee brauche keine Genehmigung des Volkes, um ihre Pflichten zu erfüllen und Terrorismus zu bekämpfen, erklärten beide unabhängig voneinander. In einer gemeinsamen Erklärung äußerten zudem sieben ägyptische Menschenrechtsorganisationen die Sorge, dass eine gesetzeswidrige Welle der Repression gegen Muslimbrüder und andere Mursi-Unterstützer bevorstehe.

Die Muslimbrüder, die seit dem Sturz Mursis täglich für dessen Wiedereinsetzung demonstrieren, machten dagegen erneut ihre Anhänger mobil. Allein in Kairo sollten sich von 34 Moscheen aus Pro-Mursi-Märsche in Bewegung setzen. Al-Sisis Initiative wertete sie als „offenkundigen Aufruf zum Bürgerkrieg“.

Unterdessen ist gegen Mursi, den das Militär seit seinem Sturz an einem unbekannten Ort festhält, offiziell Haftbefehl erlassen worden. Neben der Tötung von Soldaten werde Mursi unter anderem Verschwörung mit der Hamas im Gaza-Streifen zur Last gelegt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Mena. Zunächst werde er für 15 Tage inhaftiert. In Alexandria feierten einige Mursi-Gegner den Haftbefehl und verschränkten provozierend ihre Arme über dem Kopf. Den Mursi-Anhängern riefen sie „Das Volk will die Hinrichtung der Muslimbrüder“ entgegen.