Das Un-Making-of

Dick aufgetragene Ästhetik muss für politische Kurzfilme kein Nachteil sein: In Köln läuft die erste Einzelausstellung von Clemens von Wedemeyer

VON HANNAH PILARCZYK

Clemens von Wedemeyer war in der vergangenen Woche erst in Paris, wo er zurzeit lebt und seinen Galeristen hat, dann in New York, um bei der Eröffnung einer Ausstellung im Kunstzentrum PS1 mit einigen Arbeiten von sich dabei zu sein, und zum Schluss in Köln, wo er seine erste größere Einzelausstellung vorbereitet hat. Ein sehr passender Bewegungsdrang für jemanden, dessen Filme sich vor allem mit der Konstruktion von Räumen beschäftigen und der zuletzt in Deutschland in der Ausstellung „Projekt Migration“ zu sehen war. Darauf angesprochen, zieht von Wedemeyer, als wir ihn in seinem Kölner Ausstellungsraum treffen, skeptisch die Augenbrauen zusammen. Die Reihung Paris, New York, Köln scheint ihm zu Jetset-haft zu sein. Dabei hat sein wachsender Erfolg den 31-Jährigen zuletzt immer häufiger in andere Länder gejagt.

Nun also nach Köln. Der Kunstverein zeigt hier seit dem Wochenende sieben Filme von von Wedemeyer, nur einer davon ist eine Erstaufführung. Der Rest ist über die letzten Jahre schon in verschiedenen Gruppenausstellungen und auf Filmfestivals zu sehen gewesen und hat etliche Preise gewonnen. Überall, wo man auf sie trifft, haben die Filme denselben Effekt: Wie Gemälde, bei denen die Farbe so dick aufgetragen ist, dass die Bilder fast dreidimensional wirken, fallen sie inmitten der Masse von politischen Filmen auf. Denn während sich die meisten auf Biennalen und Documentas gezeigten Filme aus Respekt vor ihrem Gegenstand aufs Dokumentarische beschränken, trägt von Wedemeyer Schicht für Schicht Ästhetik auf seine Filme auf.

Zum Beispiel „otjesd“ (Weggang) von 2005. Mit seiner bedächtig gleitenden Kamerafahrt – die 12-minütige Schleife ist in einer Einstellung gedreht – erzeugt der Film einen Sog, der den Blick des Zuschauers so behutsam wie bestimmt auf das surreale Setting des Films lenkt: In einem kargen Waldstück stehen Menschen an, um augenscheinlich einen Behördengang zu erledigen. Je stärker man sich auf das künstliche Erzähltempo und die absurde Szenerie einlässt, desto bewusster werden einem die hyperrealistischen Details.

Man hört das Russisch, nimmt die Werbeschilder für Auslandsflüge wahr, die Formulare, die die Menschen in der Schlange ausfüllen, den verloren dastehenden Metalldetektor. Ohne die Gespräche verstehen zu müssen, erkennt man: Hier stehen Ausreisewillige vor einer Botschaft an. Doch die Botschaft als Raum ist aufgehoben. Zumindest ihre Geografie. Die Regeln des Raums wirken indes weiter – und die legt von Wedemeyer so bloß, dass er die Szene von der russischen Botschaft auch in ein Berliner Waldstück verlegen kann. Die Erzählbewegung geht von der Künstlichkeit hin zur Wahrhaftigkeit, vom Effekt zur Essenz.

„Fiktionalisierung ist für mich extrem wichtig“, sagt von Wedemeyer und kommt in dem abgedunkelten Raum, in dem „otjesd“ im Kölnischen Kunstverein gezeigt wird, zu stehen. Gegen die helle Leinwand zeichnen sich seine stacheligen Haare und seine dünne Figur ab. Der gebürtige Göttinger hat für den Film in Moskau vor der deutschen Botschaft recherchiert. „Alles, was man mit der Kamera aufnimmt, wird dem Ort, den man filmt, nicht gerecht. Dokumentarfilme transportieren aber den Anspruch, wahr zu sein. Indem ich fiktionalisiere, will ich klar machen, dass es so, wie ich es zeige, nicht sein kann. Ich versuche, eine Lücke zwischen dem, was ich zeige, und dem, wie es ist, aufzumachen. Die muss der Zuschauer dann füllen.“

Ein Prinzip, das von Wedemeyer auch in seinen Making-ofs anwendet, von denen zwei im Kunstverein zu sehen sind, unter anderem das zu „otjesd“. In ihnen verwendet er neben Recherchematerial und Szenen vom Set auch inszenierte Takes, teils spricht er über die Bilder bewusst skizzenhafte Texte, mal liest ein Protagonist aus dem Off plötzlich aus einem Buch. So nimmt von Wedemeyer die Erzählbewegung der eigentlichen Filme zurück, kehrt vom Authentischen zurück zum Fiktionalen. Was an Produktionsbedingungen aufgedeckt wird, wird durch neue Erzählung überlagert. Jedes Making-of wird so gleichzeitig auch zu einem Un-Making-of. Und der Film und sein Making-of verknüpfen sich zu einer Referenzschleife.

In seinem nächsten Film, „Rien du tout“, hat von Wedemeyer nun beides miteinander verbunden. Eine Pariser Lehrerin versucht darin, einen Film mit Jugendlichen aus den Banlieues zu drehen. Während der Dreharbeiten filmt sie zudem noch das Making-of – genauso wie von Wedemeyer, der damit in den Film-im-Film noch seinen Film über den Film-im-Film einbauen will. „Hoffen wir, dass es klappt“, sagt er nüchtern dazu. Ob es geklappt hat, ist ab dem 25. März zu sehen, wenn von Wedemeyer den Film auf der vierten Berlin Biennale präsentiert. Eines zeigt der Film aber auf jeden Fall, nämlich von Wedemeyers zweites Thema neben dem Raum: seine Beschäftigung mit dem Filmemachen an sich.

Exemplarisch hat er dies schon in „Occupation“ (2002), seiner Abschlussarbeit an der Hochschule für Grafik und Baukunst in Leipzig, dargelegt. Der Film ist nun im kleinen Kinosaal des Kunstvereins zu sehen. Schon in der Doppeldeutigkeit des Titels treffen sich die Topoi: Occupation heißt sowohl Besetzung als auch Beschäftigung – und Knotenpunkt von beiden ist bei von Wedemeyer die Leinwand.

Sie nimmt er als Grundriss, um für den Film nachts eine Gruppe von Statisten auf einer Wiese anzuordnen. Die Gruppe wird von einem Filmteam dirigiert, doch dessen Anweisungen sind widersprüchlich. Mal sprengt es die Gruppe, mal fügt es sie zusammen. Dazwischen blitzen grelle Bilder von Kameramann und Licht, Regisseurin und Producer auf. Dramatische Musik ertönt, die Kamera drängt sich durch die Menge wie ein Schauspieler, der den Vorhang mit den Händen aufteilt. Auf einmal bricht die Menge auseinander, wildes Durcheinander, eine erlöschende Glühbirne, Schluss.

Der Regisseur hat sein filmisches Operationsbesteck ausgebreitet, ohne zu operieren. Oder doch? Wenn man genauer überlegt, hat man gerade das Making-of des Regisseurs von Wedemeyer gesehen. Und natürlich genauso das Un-Making-of.