Frei und billig

Unabhängig produzierte Filme räumen bei den Oscars ab – ein Gewinn für die künstlerische Freiheit

aus Los Angeles PETER BÖHM

Als Steven Spielberg im Februar die Nominierung für den Preis als bester Regisseur von der Filmemacher-Innung (Directors Guild) entgegennahm – wie beim Oscar-Rennen gewann auch hier Ang Lee –, witzelte er, er fühle sich, als sei er bei den Independent Spirit Awards gelandet. Die „alternative Oscars“ genannten Awards werden jedes Jahr am Tag vor den richtigen Oscars an die besten Independent-Filme vergeben, und Spielberg hatte völlig Recht: Die Liste der nominierten Filme und Schauspieler war auf beiden Veranstaltungen fast gleich, und „Brokeback Mountain“, „L.A. Crash“, „Capote“, „Good Night, and Good Luck“ und Co. dominierten hier wie dort die Veranstaltung.

Alle diese Filme sind unabhängig von großen Studios finanzierte Produktionen. Das war der Trend des Jahres 2005. Die fast 6.000 Mitglieder der Akademie für Filmkunst und -wissenschaft, die über die Vergabe der Oscars entscheiden, haben in diesem Jahr schlanke, künstlerische Produktionen den teuren, aber populären Blockbustern der Studios vorgezogen. „King Kong“ und „Krieg der Welten“ bekamen einige Oscars in den technischen Kategorien, aber bei den wichtigen künstlerischen waren sie nicht nominiert. Nach den Nominierungen haben deshalb die konservativen amerikanischen Medien geschäumt. Das „ultraliberale“ Hollywood habe nun völlig den Bezug zum Rest Amerikas verloren und nur Filme nominiert, die keiner gesehen habe, schrieben sie. Aber diese Kritik, die bei weitem nicht neu ist, übersieht etwas Entscheidendes. Die Art und Weise, wie Hollywood-Filme finanziert werden, hat sich im letzten Jahr verschoben. Und das scheint den Mitgliedern der Akademie, allesamt selbst arrivierte Filmschaffende, nicht zum Nachteil gereicht zu haben.

Natürlich sind die Independent-Filme, die diesmal abgeräumt haben, nicht in so vielen Kinos gelaufen, hatten weniger Zuschauer und haben weniger eingespielt als die Studio-Produktionen, aber die meisten haben dennoch Gewinn gemacht, denn sie haben ja auch viel weniger gekostet. Außer „München“, der einzigen Produktion eines großen Studios im Oscar-Rennen, und „Syriana“, der zum Teil von Universal finanziert wurde, hat kaum einer der prämierten Filme mehr als 15 Millionen Dollar gekostet – eine Summe, die nicht einmal reichen würde, um die Werbung für „King Kong“ (Produktionskosten über 200 Millionen Dollar) oder „Krieg der Welten“ (132 Millionen) zu bezahlen. Aber trotz der geringen Kosten hat „Brokeback Mountain“ (Kosten 14 Millionen) vor den Oscars schon 75 Millionen Dollar eingespielt, und „L.A. Crash“ (Kosten 6,5 Millionen) – Auszeichnung für den besten Film – 54 Millionen.

Um aber einen Film zu machen, der nur 10 Millionen Dollar kostet, braucht man kein Studio mehr und gewinnt künstlerische Freiheit. Viele Filmemacher haben 2005 davon Gebrauch gemacht. Einige erstaunliche Filme sind so entstanden.

„Syriana“ ebenso wie „North Country“ und „Good Night, and Good Luck“ wurden von der Produktionsfirma des eBay-Mitgründers Jeff Skoll teilfinanziert. Über die Webseite www.participant.com hat er Kampagnen zu „Syriana“ (um die Abhängigkeit Amerikas vom Erdöl zu verringern) und zu „North Country“ gegen häusliche Gewalt finanziert. „Brokeback Mountain“, der außer der schönen Berglandschaft ein in jeder Hinsicht hässliches Amerika zeigt, wurde zum Teil vom „Minnesota Twins“-Eigentümer Bill Pohlad finanziert, und „L.A. Crash“, der das Thema Rassismus in Los Angeles thematisiert, von dem Immobilienmakler Bob Yari.

Noah Baumbachs „The Squid and the Whale“ (Filmstart in Deutschland am 27. März) – war nominiert für den Preis des besten Original-Drehbuchs. Der Film hat 8,5 Millionen Dollar gekostet, die ausschließlich aus privater Quelle kamen, und hätte – spielte er nicht in New York – von Thematik und Machweise her in der Sowjetunion der 80er-Jahre gedreht worden sein können.

George Clooney, der zum ersten Mal in der Oscar-Geschichte in drei verschiedenen Kategorien nominiert war (er gewann den Preis für die beste Nebenrolle in „Syriana“ und war nominiert für das beste Drehbuch und die Regie in „Good Night, and Good Luck“), hat deshalb schon vor der Oscar-Verleihung gesagt, die Filmszene in Los Angeles habe sich völlig verändert. Jeder spreche auf einmal über Politik und wolle politische Filme machen.