Hauen, wedeln, kicken

SPORTBÜCHER Ein Polizist als Hooligan, zwei österreichische Heldenbiografien und eine kosmopolitische Fußballutopie. Vier nicht allein sportliche Leseempfehlungen der taz-Leibesübungen zur Leipziger Buchmesse

Schlägern als Bulle und als Hooligan

VON MILAN JÄGER

Fußball-Hooligans sind harte Jungs. Das sind Typen, die nicht viel in der Birne haben, Dinge mit Fäusten statt mit Worten regeln und obendrein den Fußball kaputt machen. Gern werden sie als „Chaoten“ bezeichnet. Dass einer von ihnen beruflich „Recht und Ordnung“ aufrechterhält, erscheint widersprüchlich.

Stefan Schubert vereinigt diesen Widerspruch in seiner Person. Er tat jahrelang seinen Dienst als Polizeibeamter, und zwar nicht irgendwo und irgendwie, sondern beim Bundesgrenzschutz, in dessen Ausbildung er mit 18 Jahren eintrat und die er als Klassenbester absolvierte. Mit 16 Jahren hatte er Rivalitäten zwischen Jugendlichen erlebt. Die ließen Schubert zum durchtrainierten Halbstarken heranwachsen. Von dem damals erlebten Gefühl der Überlegenheit sollte er nicht wieder loskommen. Die von seinem Vater an ihn vererbte Nähe und Leidenschaft zu Arminia Bielefeld teilte er schon damals. Zu den militärisch organisierten Mitgliedern des „Ostwestfalenterrors“, der „Blue Army Bielefeld“, schaute er mit einigem Respekt auf. Es dauerte nicht lange, bis er und seine Freunde in die Hooligan-Kreise aufgenommen wurden. Seine Schulhofschlägereien hatten sich herumgesprochen.

„Gewalt ist eine Lösung“ ist eine ziemlich nüchterne, manchmal ermüdende Aneinanderreihung verschiedenster Prügeleien. Die Knochen brechen, das Blut spritzt. Der Leser nimmt die Gewalt hin, sie wird langweilig. Seine Spannung zieht Schuberts Buch aus der Überschneidung seines Berufs- und seines Privatlebens. Diese konnten lange ohne Schwierigkeiten koexistieren und sich sogar gegenseitig befruchten. Seine Vorgesetzten gaben ihm zwei Regeln auf den Weg: „Handeln Sie sich keine Anzeige ein. Aber wenn Sie schon glauben, sich prügeln zu müssen, dann gewinnen Sie wenigstens! Sie wollen doch nicht den tadellosen Ruf des Bundesgrenzschutzes beflecken!“ Nein, das wollte Schubert nicht. Von seiner polizeilichen Ausbildung profitierte er derart, dass er oftmals einer Festnahme entkommen konnte, weil er einen geschulten Blick für die Reaktion der Polizei hatte. Aber auch als Polizist profitierte er von seinem Hooligan-Leben: „Die Feindbilder, die beim BGS aufgebaut wurden, hatte ich auch als Hooligan verinnerlicht: Autonome, Skinheads, Rocker.“

Wenn er dann doch einmal von seinen Kollegen erkannt wurde, deckten sie ihn. Einer „erkennungsdienstlichen Behandlung“ entging er, weil der eingesetzte Beamte ihn aus Loyalität einfach überging. Ein Vorgesetzter begegnete ihm mit Verständnis und Anerkennung, war er doch selbst jahrelang Hooligan gewesen. 1998 schließlich schied Schubert freiwillig aus dem Polizeidienst aus.

Man mag zu der beschriebenen Gewalt stehen, wie man will. Die Vorstellung, dass ein Polizist ein Hooligan ist, der nur auf brisante Einsätze wie etwa Demonstrationen wartet, und seine Kollegen und Vorgesetzten das tolerieren, ist beängstigend.

Stefan Schubert: „Gewalt ist eine Lösung“. riva Verlag, München 2010, 332 Seiten, 19,90 €

Toni und Hansi – zwei Heroen aus Austria

VON RALF LEONHARD

Zwei unterschiedlichere Sportlerkarrieren kann man sich kaum vorstellen. Und doch gibt es Parallelen: beide kamen aus kleinen Verhältnissen und erlebten mit knapp 20 Jahren ihre größten Erfolge, die sie in Österreich zu nationalen Helden machten. Und dann? Der Spenglersohn aus Kitzbühel beendete seine aktive Laufbahn als Ski-Seriensieger mit drei Olympia-Goldmedaillen und wurde zum international gefeierten Filmstar, während der gelernte Rauchfangkehrer aus Wiens Proletarierbezirk Floridsdorf bis zur demütigenden Niederlage im Ring weitermachte und sich in Schulden, Alkoholexzessen und Gefängnisaufenthalten verlor. Toni Sailer starb letztes Jahr als hoch geehrte Ikone, Box-Champion Hans Orsolics blickt als Hilfsarbeiter der Pension entgegen.

Sigi Bergmann war mit beiden befreundet und kennt die Höhen und Tiefen im Leben der beiden Ausnahmeathleten. Das erlaubt ihm, in seinen Biografien sehr nahe an die Charaktere heranzukommen. Über weite Strecken lässt er sie selber erzählen, was bei Orsolics eine Unzahl von Fußnoten mit Übersetzungen aus dem Wiener Dialekt notwendig macht.

Toni Sailer war nicht nur ein Sonntagskind. Kaum war er bei den Olympischen Spielen von Cortina 1956 zum Sieger in allen drei alpinen Skiwettbewerben geworden, wurde er für den Film entdeckt. Wenig später feierte er in Japan als Filmheld und Schlagersänger Triumphe. Er verkehrte im japanischen Kaiserhaus und war mit den Größen des Showbusiness auf Du und Du.

Bergmann schildert, dass Sailers sportliche Erfolge nicht nur einem Ausnahmetalent, sondern auch härtester Arbeit und mentaler Kondition zu verdanken waren. Früher als andere achtete er auf Fitness, Atemtechnik und ausgewogene Ernährung. Er experimentierte mit dem Druck im Skischuh und ging nie ohne Aufwärmübungen ins Rennen. So konnte er seine Rivalen regelrecht demütigen. Auch in seiner zweiten Karriere gab er sich nicht mit Auftritten in seichten Komödien, in denen er seine Skiakrobatik zeigen konnte, zufrieden, sondern nahm jahrelang Schauspielunterricht und feierte schließlich auch auf der Bühne Erfolge.

Weniger erfolgreich war der Skiheld später als technischer Direktor des österreichischen Skiverbands. Die Krise in der Herrenmannschaft und eine jahrelange Flaute in den technischen Disziplinen wurden ihm angelastet. Das Glück des Sonntagskinds verlässt ihn dann während seiner letzten Lebensjahre völlig. Zurückgezogen kämpft er gegen einen Krebstumor nach dem anderen.

Hansi Orsolics, der von seinen 53 Kämpfen im Welter- und Super-Leichtgewicht 42 gewonnen hat und zweimal Europameister wurde, erleidet mit 30 Jahren ein technisches K.o. gegen den Spanier José Durán, das nicht nur seine Karriere beendet, sondern auch einen unaufhaltsamen Abstieg einleitet. Jahre später resümiert er seinen Werdegang in einem Lied, das kurz sogar die Hitparade anführt: „Mei potschertes Leb’n“.

Toni Sailer, Sigi Bergmann: „Toni Sailer: Sonntagskind?“. Seifert Verlag, Wien 2009, 255 Seiten, 23,60 Euro ■ Sigi Bergmann: „Orsolics Hansi k.o. – Triumphe und Leiden eines Boxers“. Seifert Verlag, Wien 2007, 248 Seiten, 21,90 Euro

Die Kraft des Guten im Fußball

VON ANDREAS RÜTTENAUER

„Ich war noch nie in Afrika.“ Das sagt Patrick Owomoyela. Der ist Profi bei Borussia Dortmund und war mal deutscher Nationalspieler. Er wundert sich nicht, dass er immer wieder gefragt wird, wie deutsch er sich fühlt. „Man kann mir ansehen, dass ich nicht ganz der nordische Typ bin, auch wenn ich in Hamburg aufgewachsen bin.“ Owomoyelas Vater kommt aus Nigeria. Rassistische Beleidigungen hat er auf dem Spielfeld nie erfahren.

„Mit Gerald Asamoah, das war schon unfassbar“, erinnert sich Mirko Slomka, der den deutschen Nationalspieler als Trainer betreut hat, als dieser bei einem Pokalspiel in Rostock aufs Übelste rassistisch beleidigt wurde. So richtig verstehen kann Slomka das nicht: „Das war ja unmittelbar nach der WM 2006, bei der er noch gefeiert wurde.“

„Ich bin eines Tages einfach rein ins Heim und habe gefragt, ob nicht ein paar Kinder mit uns Fußball spielen wollen. Die waren froh, wenn sie Kontakt mit deutschen Kindern hatten.“ So erinnert sich Werner Nüßlein, der im fränkischen Breitengüßbach auf die Bewohner eines Asylbewerberheims zugegangen ist und via Fußball eine Brücke zur angestammten Wohnbevölkerung geschlagen hat. Der Trainer, Platzwart und wahlweise Jugendbetreuer des örtlichen TSV, sagt: „Kinder sind eben offen, weltoffen.“

„Die veröffentlichten Aussagen sind ohne Akkreditierung und Absprache mit dem 1. FC Magdeburg im Heinrich-Germer-Stadion heimlich entstanden und führen somit eine seriöse und repräsentative Berichterstattung ad absurdum.“ Mit dieser Pressemitteilung wandte sich die Magdeburger Klubführung an die Öffentlichkeit, nachdem RTL TV-Bilder gesendet hatte, die Fans beim Singen des in deutschen Stadien immer noch verbreiteten sogenannten U-Bahn-Lieds gezeigt hatte. Das geht so: „Eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von XY nach Auschwitz.“ Für XY setzen die Fans den Ort ein, aus der der jeweilige Gegner kommt.

Gerd Dembowski und Diethelm Blecking haben Interviews, Reportagen und wissenschaftliche Artikel zusammengestellt und sich auf die Suche nach der integrativen Kraft des Fußballs begeben. Sie haben viel Gutes im Fußball gefunden und doch auch festgestellt, dass Rassismus und Ungleichheit nicht schon dann verschwinden, wenn Menschen miteinander, besser gegeneinander Fußball spielen. Strukturell angelegte Ungleichheiten, der gesellschaftlich verankerte Rassismus kann nicht so einfach weggekickt werden, auch wenn das noch so schön wäre.

Der Profifußball ist schon lange derart internationalisiert, dass die Frage nach der Herkunft eines Spielers immer unbedeutender wird. Auch die Klubs, die in den deutschen Amateurligen kicken, sind schon lange keine ethnisch homogenen Einheiten mehr. Und doch ist das Thema Herkunft dort immer noch von herausragender Bedeutung. Warum nur, scheinen sich die Herausgeber zu fragen, und machen einen Rückblick in die Geschichte des Fußballsports. Es waren wahre Kosmopoliten, die den Kicksport in Deutschland verbreitet haben. Schaut zurück, dann seht ihr die Zukunft, scheinen Dembowski und Blecking sagen zu wollen. Sie glauben an das Gute im Fußball.

Diethelm Blecking, Gerd Dembowski (Hg.): „Der Ball ist bunt“. Brandes und Apsel, Frankfurt 2010, 304 Seiten, 19,90 €