Polen setzt ganz auf Solidarität

Heute kommt Staatspräsident Lech Kaczyński zu seinem ersten Besuch nach Berlin. Dass sich dadurch die bilateralen Beziehungen verbessern, glaubt kaum jemand

WARSCHAU taz ■ Noch vor einer Woche hofften viele deutsche Politiker, dass der Antrittsbesuch des polnischen Staatschefs in Berlin eine Wende in den deutsch-polnischen Beziehungen bringen könne. Ein Interview Lech Kaczyńskis im Spiegel dämpfte diese Erwartungen. Polens Präsident kennt weder das heutige Deutschland noch seine Bewohner. Auch als Oberbürgermeister Warschaus interessierte er sich nicht für die Partnerstadt Berlin. Schlüsselbegriffe zum Verständnis der Deutschen sind für den 56-Jährigen der Zweite Weltkrieg, die Nazi-KZs im besetzten Polen, die Zwangsarbeiter und die vielen Toten.

Dennoch will er bei seinem Antrittsbesuch in Berlin eine programmatische und nach vorne gerichtete Rede halten. In der Humboldt-Universität will Kaczyński seine Vorstellung „von dem ganz Anderen“, das Europa brauche, erläutern. Kritiker werfen dem nationalkonservativen Politiker vor, dass er die Europäische Verfassung in Wirklichkeit endgültig beerdigen wolle und das „ganz Andere“ nur dessen höfliche Umschreibung sei. Doch Kaczyński hat nie im Detail ausgeführt, wie er sich die Zukunft der EU vorstellt. Sicher ist nur, dass sie solidarisch sein soll.

Kaczyński war als junger Mann der polnischen Gewerkschaft- und Freiheitsbewegung „Solidarność“ eng verbunden. Als Rechtsanwalt hat er vielen Arbeitern in der Danziger Leninwerft zu ihrem Recht verholfen, ohne Geld dafür zu nehmen.

Doch wenn Kaczyński heute von „europäischer Solidarität“ spricht, meint er eher eine Bringschuld der alten EU-Mitglieder gegenüber den neuen. Die Energiesicherheit der EU-Staaten sei nur zu gewährleisten, wenn sich alle EU-Mitglieder bei einem Notstand unterstützten.

Polens Präsident hält daher die geplante Ostsee-Pipeline von St. Petersburg nach Greifswald für einen egoistischen Alleingang Deutschlands, der elementare Sicherheitsinteressen Polens verletze. Dass die Pipeline auch andere EU-Staaten mit Gas versorgen wird, entkräftet den Egoismusvorwurf nicht, sondern stützt ihn noch. Die Deutschen würden an diesem weitergeleiteten Gas ja Millionen verdienen, die Polen nichts. Mit der Ostsee-Pipeline entgeht dem Land ein Jahrhundertgeschäft. Nur sagt dies keiner laut. „Solidarisches Europa“ klingt besser.

Offen ist, ob Kaczyński in seiner Rede auch auf die Solidaritätsforderungen der Ukraine und Litauens an Polen eingehen wird. Die Ukraine will eine Ölpipeline von Brody nach Plock bei Warschau bauen, um von den russischen Öllieferungen unabhängiger zu werden. Doch während Kiew seine Leitung fertig hat, zögert Polen noch. Auch Litauen bittet Polen, es an das europäische Stromnetz anzubinden, um Strom aus Polen importieren zu können. Wenn der Atommeiler Ignalina abgeschaltet ist, wird Litauen sonst abhängig von russischem Strom. Polen will nur zustimmen, wenn es den billigen russischen Atomstrom weiter in den Westen exportieren kann. „Solidarisch“, meint die Gazeta Wyborcza in ihrer gestrigen Ausgabe, sei das nicht gerade gegenüber Litauen.

GABRIELE LESSER