Ein gesamtdeutscher Ostler tritt ab

KARRIERE-ENDE Kaum ein Politiker konnte so gut mit den Leuten wie Matthias Platzeck. Nun zwingt ihn nach elf Jahren als Ministerpräsident in Brandenburg die Gesundheit zum Aufhören

AUS POTSDAM ANJA MAIER

Dieses Blinzeln – irritierend. Matthias Platzeck schaut seinem Gegenüber stets direkt in die Augen, mit diesem zwinkernden Blinzeln. Meint der mich?, fragen sich die Leute. Aber ja. 23 Jahre lang ist der Politiker Platzeck so aufgetreten, auf Augenhöhe. Er hat die Leute zum Reden gebracht. Er hat geantwortet, auch widersprochen. Nicht zum Munde geredet, so was können die Brandenburger gar nicht ab. Lieber klar. Wie Platzeck.

Auch am Montagabend, als Matthias Platzeck von der politischen Bühne abtritt, schaut er direkt nach vorn. Nach einer gemeinsamen Sitzung von SPD-Landesvorstand und der Landtagsfraktion am späten Nachmittag gibt er mit belegter Stimme seinen Rücktritt bekannt.

„Ich hab Politik immer mit Lust und viel Leidenschaft gemacht. Manchmal mit zu viel Leidenschaft, das ist nicht immer zuträglich“, sagt Platzeck zu Beginn seiner Erklärung. „Mir ist Politik immer unter die Haut gegangen, und das wird sich wohl nicht mehr ändern.“ Am 28. August, bei der nächsten Landtagssitzung, werde er zurücktreten.

Es ist ein Abgang mit Ansage. Mitte Juni hatte Platzeck einen Schlaganfall erlitten. Ende Juni kündigte er an, sich während seines Sommerurlaubs ehrlich zu befragen, wie es weitergehen soll. Nun ist die Prüfung abgeschlossen. Platzeck, der Ende Dezember 60 Jahre alt wird, hat sich entschieden, zurückzutreten. Wer den Alltag von Spitzenpolitikern kennt – den Termindruck, die Verfügbarkeit, die Ränkespiele –, ahnt, dass Platzeck sich Lebenszeit schenkt. Seit vielen Jahren kämpft der Potsdamer mit körperlichen Krisen. „80 Wochenstunden – vergiss es, Platzeck!“, hätten ihm die Ärzte gesagt. Diesen Rat befolge er. Demokratie, so Platzeck, habe ja „immer was mit Machtverleihung auf Zeit zu tun. Man soll nicht anfangen, irgendwelche Unersetzlichkeitsgedanken zu hegen.“ Dann räumt er seinen Stuhl vor den Mikrofonen und wechselt mit Dietmar Woidke, seinem designierten Nachfolger, die Plätze. Auch die Namensschilder tauscht er. „So ist er“, sagt eine Mitarbeiterin leise.

2002 hatte er das Amt des Ministerpräsidenten von Manfred Stolpe übernommen. Sieben Jahre lang stand er an der Spitze einer rot-schwarzen Koalition mit der chaotischen Brandenburger CDU, seither regiert er mit der Linkspartei. 2006 wählten die Sozialdemokraten den ostdeutschen Hoffnungsträger Platzeck gar zum Vorsitzenden der Bundes-SPD. Zwei Hörstürze und ein Herz-Kreislauf-Zusammenbruch zwangen ihn nach nur 146 Tagen zum Rückzug. Immer wieder mal musste er seither Reisen absagen, fehlte bei wichtigen Terminen. Beobachtern war klar: Platzeck kämpft mit seiner Gesundheit.

Dennoch galt der Ministerpräsident als unentbehrlich. Keiner konnte so gut mit den Leuten. Keiner konnte plausibler machen, warum Vattenfall den Brandenburger Boden nach Kohle umwühlen darf. Keiner war besser in der Lage, ostdeutsche Identität zu erklären.

Dass er womöglich wieder fit sei, glaubten manche, als Matthias Platzeck sich im Januar 2013 zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden des Skandal-Flughafenbaus Berlin-Brandenburg wählen ließ und sein politisches Schicksal mit dem Projekt verknüpfte. „Entweder das Ding fliegt – oder ich fliege.“ Wer sich derart aufmuskelt, sollte die Kraft dazu haben. Ein Trugschluss. Wie es jetzt weitergeht, lässt er offen. Die nächste Aufsichtsratssitzung Mitte August werde ich leiten, „da werden wir mit den Kollegen im Bund diskutieren, wie wir die Arbeit generell organisieren.“ Sein Nachfolger jedenfalls will den Vorsitz des Gremiums nicht übernehmen.

Für die Sozialdemokraten ist Platzecks Rücktritt ein herber Verlust. Wer kennt schon Dietmar Woidke? Platzeck ist einer der wenigen profilierten ostdeutschen Sozialdemokraten mit gesamtdeutschem Bekanntheitsgrad. Zu Wendezeiten war er Fraktionsgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Noch 1990 wurde der studierte Kybernetiker Umweltminister in Potsdam, beim Oderhochwasser 1997 machte er bundesweit Schlagzeilen.

1995 war Platzeck in die SPD eingetreten, und er machte dort zügig Karriere. Elf Jahre hat er den Job des Ministerpräsidenten gemacht. Preußisch. Elf Jahre, die ihn sein Körper getragen hat durch Konflikte mit Koalitionären und Opposition. Auch durch die Auseinandersetzungen mit den Brandenburgern, die sich gegen Flugrouten, Mastanlagen und Vattenfall wehrten. Er hat das auf Augenhöhe geregelt. Auch das mit dem Rücktritt. Mit diesem irritierenden Blinzeln.