NIEDERLANDE: ARBEITSLOSIGKEIT UND ARMUT SIEGEN ÜBER RASSISMUS
: Die Ära der Demagogen ist vorbei

Die Niederländer können es kaum fassen: Die Ära von Pim Fortuyn ist wohl vorbei. Zwar wurde der Populist 2002 von einem radikalen Tierschützer ermordet, doch das steigerte seine Nachwirkung nur noch. Bis zum Dienstag. Bei den Gemeinderatswahlen verloren die Rechten dramatisch; es siegten Sozialdemokraten und Sozialisten. Besonders bemerkenswert war das Ergebnis in Amsterdam, wo ein Islamist 2004 den Filmemacher Theo van Gogh erstochen hatte. Hier hat sich der sozialdemokratische Bürgermeister Job Cohen triumphal behauptet, obwohl er als „lascher Träumer“ beschimpft worden war, weil er sich weiter zu einer multikulturellen Gesellschaft bekennt.

Die Niederlande sehen sich gern als „gidsland“, was übersetzt meint, dass sich dort gesamteuropäische Tendenzen als Erstes abzeichnen. Tatsächlich lässt sich aus den niederländischen Gemeindewahlen auch für Deutschland einiges lernen. Erste Lektion: Anscheinend wirken Angstkampagnen nicht unbegrenzt. Irgendwann haben die Wähler genug von den Horrorszenarien über Kriminalität und Einwanderer, die sich mit ihren Alltagserfahrungen nicht decken. So ärgerlich es ist, gerade für Niederländer, dass gelegentlich ein Fahrrad verschwindet – die eigentlichen Sorgen lassen sich nicht ewig übersehen. Arbeitslosigkeit und Armut sind die beiden Probleme, die 60 Prozent der Niederländer als besonders drängend angeben.

Daraus folgt als zweite Lektion: Regierungen werden für neoliberale Rezepte abgestraft. Seit 1982 verlassen sich die Niederländer auf ihr „Poldermodell“, das durch niedrige Löhne weltweite Konkurrenzfähigkeit sichern will. Doch dieses Konzept funktioniert nicht mehr. Wie die deutsche ist auch die niederländische Wirtschaft in den letzten fünf Jahren kaum noch gewachsen.

Dennoch waren Fortuyn und seine Erben erfolgreich. Sie haben die Symbolpolitik aller Parteien verändert. So hat eine Parlamentsmehrheit verlangt, dass die Burka nicht mehr auf niederländischen Straßen getragen werden darf. Dies hat zwar keine Konsequenzen – kaum eine Frau wirft die Burka über. Aber es ist bedenklich, wenn eine Gesellschaft so intolerant reagiert, wenn Toleranz so einfach wäre. ULRIKE HERRMANN