Premiere der Waghalsigen

FUNSPORT Für einen Brausehersteller stürzen sich Athleten schon lange aus großer Höhe ins Wasser. Nun gehört das Klippenspringen erstmals zum offiziellen WM-Programm

Die andächtige Stille, die sich vor jeder Übung über die WM-Stätte legt, vermittelt einen Hauch von dem nach Gefahr und Aufregung schmeckenden Lebensgefühl dieser Extremsportler

AUS BARCELONA ANDREAS MORBACH

Mit einem freundlichen Lächeln lässt der junge Mann auf der Flaniermeile in Barcelonas Jachthafen erst einmal die Jalousien in seinem kleinen Container herunter. Es quietscht und wackelt, dann ist der Schutz vor der Nachmittagssonne in der richtigen Position und der Ticketverkäufer kann wieder etwas erkennen auf seinem Computer. Dabei ist das eigentlich gar nicht mehr nötig. Denn Tickets für die Wettkämpfe der Klippenspringer, die sich in seinem Rücken gerade aus schwindelnder Höhe ins Wasser stürzen, gibt es für keinen der drei Finaltage mehr. „Alles ausverkauft“, erklärt der katalanische Kartenmann. Bei stolzen Preisen von 37,50 Euro auf der Tribüne und 27,50 Euro fürs Zuschauen aus einer Ecke.

Und so drücken sich in der Moll de la Fusta auch am Dienstag wieder hunderte Zaungäste an den mit halbdurchsichtigen Planen zugehängten Gittern rund um das WM-Areal die Nasen platt. Die zahlreichen Deutschen unter ihnen wollen vor allem einen Blick auf Anna Bader erhaschen. Die 29-jährige Klippenspringerin ging als eine der großen Favoritinnen in den Wettkampf mit fünf anderen Springerinnen (das Finale war bei Andruck dieser Ausgabe noch nicht beendet). Schließlich ist die Mainzerin schon dreimal Europameisterin geworden. Auch weil die Tochter einer olympischen Geräteturnerin bis zum letzten Jahr außer Konkurrenz bei den Männern mitsprang.

Das ist in Barcelona anders. Neben Bader führen drei Amerikanerinnen, eine Kanadierin und eine Ukrainerin ihre Sprünge aus 17 Meter Höhe vor. Von atemberaubenden Klippen ist allerdings nichts zu sehen. In einem kleinen Zeltverschlag finden die Athletinnen Schutz vor der spanischen Sommerhitze – und wenn sie an der Reihe sind, kraxeln sie ein gewaltiges Gerüst hinauf. Es ist ein Anstieg wie in einem gewaltigen Freilufttreppenhaus. Und weil die Sparte in diesen Tagen gerade ihre WM-Premiere begeht, ist das Ganze von den Organisatoren zum einen ordentlich aufgeblasen. Zum anderen weht inmitten der Großstadt aber auch noch ein wenig der abenteuerliche Ruf der Branche mit.

Über eine marmorne Mauer und das Dach eines weißen Schuppens hinter der Wettkampfstätte könnten Journalisten mit einem großen Schritt zum Beispiel problemlos zu den wagemutigen Frauen aufs Gerüst klettern. Der eine Aufpasser, der hier eingeteilt ist, ist jedenfalls gerade unterwegs. Weil sich Klippenspringer bei diversen Rekordversuchen in der Vergangenheit bei der Landung im Wasser auch häufiger schon mal die Beine gebrochen haben, schnorcheln direkt neben der Eintauchstelle zudem immer drei Männer in Tauchanzügen herum, um im Fall der Fälle sofort zur Stelle zu sein. Und auch die andächtige Stille, die sich vor jeder Übung über die WM-Stätte legt, vermittelt zumindest einen Hauch von dem nach Gefahr und Aufregung schmeckenden Lebensgefühl dieser Extremsportler.

Für den österreichischen Brausehersteller Red Bull ist das genau der richtige Mix: Die Marketingabteilung des Konzerns nahm das Klippenspringen in gewohnt zielgerichteter Manier in sein Repertoire auf und führte vor vier Jahren eine professionelle Weltcupreihe ein. Dort wird nicht von funktionalen Gerüstbauten wie gerade in Barcelona gesprungen, sondern an atemberaubenden Orten auf den Azoren, Hawaii, Korsika oder Rio. Aber auch schon mal vom Opernhaus in Kopenhagen oder vom Frachtsegelschiff Rickmer Rickmers in Hamburg.

Ein Segelschiff, das wie die „Hoppetosse“ von Pippi Langstrumpfs Papa Efraim aussieht, ankert jetzt auch in der Moll de la Fusta. „Par Barcelona“ heißt es, schaukelt nur 20 Meter vom Springergerüst entfernt auf dem Wasser – und auf seiner linken Seite sitzen sieben ganz in Weiß gekleidete Männer. Wie Matrosen sehen sie aus, schauen Anna Bader zu und applaudieren nach jedem Sprung dezent.

Sehr dezent war lange auch das Interesse des Weltverbands Fina an den Klippenspringern. Das hat sich inzwischen geändert – bei ihren Einladungskarten für die WM orientierte sich die Fina nun einfach an der aktuellen Red-Bull-Liste. Rasch fanden sie dort auch Anna Bader, die mit 17 zum Klippenspringen kam: Bei einem Urlaub auf Jamaika, wo sie von den einheimischen Jungs überredet wurde, doch mal mit ihnen von den Felsen ins Meer zu springen. Anna Bader ließ sich bequatschen und vollführte schon bald wildeste Sprünge. Fünf Jahre später war sie dann zum ersten Mal Europameisterin – und ist jetzt eine der Hauptattraktionen bei der WM-Premiere in Barcelona.