FRÜHER WAR ALLES BESSER!?
: Gelber Popel, grünes Gras

Muttersein für Einsteiger

VON LUCIE MARSHALL

Früher hatten die Kinder immer so dicke gelbe Popel an der Nase hängen!“, sagt meine Freundin Raffaella. Ich stehe im Supermarkt, mein Handy klemmt zwischen Schulter und Ohr. „Wovon redest du?“, frage ich unwirsch, mein Nacken ist verkrampft, die Einkaufsliste lang.

„Ich habe mir gerade alte Kindergartenbilder von mir angesehen, und auf jedem Bild hat wenigstens ein Kind so ein dickes gelbes Rotzdingsda an der Nase.“ „Das ist eklig, Raffaella, ich muss jetzt einkaufen!“

Sie ignoriert meine Antwort: „Mir ist noch etwas aufgefallen. Früher hatten wir richtige Kinderklamotten an. Ausgeleierte Cordhose mit Flicken drauf und dann einfach ein T-Shirt. Da war ein Mickey-Mouse-Aufdruck eine Sensation!“

Ich sehe verstohlen hinüber zu dem Vater, der mit seiner Tochter neben mir an der Käsetheke steht. Die Kleine trägt eine pinke Regenjacke mit kleinen Glitzersternchen und die kleinen Füße stecken in UGG Boots. Sie sieht umwerfend süß aus.

„Wir rauben unseren Kindern doch ihre Kindheit, wenn wir sie ausstaffieren wie kleine Püppchen“, fährt Raffaella fort. Auweia, sie hat ganz eindeutig einen Moralischen. Ich stelle die Einkaufstasche hin: „Raffaella, was ist denn los?“

„Ach, ich weiß auch nicht“, schnieft sie, „irgendwie ist es alles so kompliziert geworden. Wenn ich Greta nicht von Anfang an in die richtige Kita stecke, dann verpatze ich vielleicht ihre Zukunft. Wenn sie nicht das Richtige anhat, dann wird sie vielleicht gemobbt. Ich will wieder dicke Popel und Mickey-Mouse-T-Shirts.“

Ich weiß, was sie meint. Aber war früher wirklich alles besser? Oder ist das Gras drüben einfach immer grüner, weil wir es gerade im Hier und Jetzt so anstrengend finden und bloß nichts falsch machen wollen?

„Raffaella, ich glaube, das mit den gelben Popeln und den Cordhosen ist so wie mit unserem letzten Sommerurlaub. Kaum zu Hause, wollte ich wieder zurück. Dass es nachts zu heiß war und die Mücken uns bei lebendigem Leib gegessen haben, habe ich verdrängt. Ist ja auch irgendwie gut, dass wir so funktionieren. Es würde sonst wahrscheinlich nur Einzelkinder geben, wenn wir uns noch in allen Details an die Geburt erinnern könnten.“ Sie steigt nicht so richtig auf meine Theorie ein.

„Hat dein Freund Jesper nicht ein schlaues Buch darüber geschrieben?“ Ich gebe nicht auf, sie aufzuheitern.

„Mach dich nur lustig über mich, Lucie, früher gab es solche Bücher nicht, und man hatte auch kein schlechtes Gewissen, wenn man sie nicht gelesen hat.“

Ich krieg sie nicht aus ihrer Stimmung. Und ich hab auch keine richtige Antwort. War es früher wirklich einfacher?

■ Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall schreibt hier über den zauberhaften Wahnsinn, der über uns hereinbricht, wenn frau Kinder bekommt. luciemarshall.com