Das obskure Objekt der Begierde

Von Herr und Knecht redet heute niemand mehr. Als ob es keine Ausbeutungsverhältnisse mehr gäbe. In diese Lücke stößt „Hilda“ der französischen Autorin Marie NDiaye vor, von der Studiobühne Mitte erstmals nach Berlin gebracht

Der Termin der Premiere hätte kaum besser gewählt werden können. Am Abend des Internationalen Frauentags kam „Hilda“ in Berlin zur Erstaufführung: ein meisterhaftes, weil gleichermaßen kompaktes wie ambivalentes Spiel über die Begehrlichkeiten um ein weibliches Wesen.

Als die senegalesisch-französische Autorin Marie NDiaye (*1967) mit ihrem Roman „Rosie Carpe“ 2001 ihr Debüt vorlegte, erhielt sie umgehend dafür den begehrten „Prix Femina“. Schon 2003 wurde dann an der eigentlich als elitär verschrienen „Comédie Française“ ihr Drama „Papa doit manger“ inszeniert. NDiaye gehört inzwischen zu den Hoffnungsträgern der europäischen Dramatik, „Hilda“ war 2001 ihr Bühnendebüt.

Die Titelfigur des Dienstmädchens Hilda wird durch die Dienstherrin Madame Lemarchand (= Händler) begehrt, aufgesogen, absorbiert und schließlich wieder abgestoßen. Hildas Ehegatte Franck verhält sich teils gleichgültig, teils opportunistisch und vermeidet jeden Kampf. Hilda selbst – als „obskures Objekt der Begierde“ in diesem ungleichen Kräfteverhältnis – tritt persönlich nie in Erscheinung. Sie fungiert als bloße Projektionsfläche, erweist sich als leeres Zentrum innerhalb eines vom puren Warenwert regulierten, zwischenmenschlichen Oberflächengespinsts. Sie bleibt zurück als unsichtbare „Fetzenpuppe, die kaum ihren Kopf auf den Schultern halten kann“, wie es im Text heißt.

„Hilda“ ist mit 80 Seiten ein vergleichsweise knapper Text, der ganz ohne Szenenangebote und Regieanweisungen auskommt. Weit mehr als drei Viertel des Dialogs werden von Madame Lemarchand bestritten, die Parts ihres Gegenspielers Franck beschränken sich auf Stichworte. So wie Hilda zur Knetmasse der widerstreitenden Figuren wird, so flexibel bietet sich der Text seinen Interpretationen.

Mit der Entscheidung von Regisseur Christoph Gerzymisch, Frau Lemarchand mit Heike Kretzler zu besetzen, die „eine leichte Tetra-Spastik“ (Presseheft) hat, stellen sich die Weichen der Inszenierung auf eine überraschend klare Lesart: Die Dienstherrin, innerlich deformiert, erschafft sich in Hilda eine spiegelbildliche Entsprechung. Heike Kretzler spielt bravourös, liefert eine großartige Parforcejagd durch die Untiefen ihrer Rolle. Gleichzeitig ergeben sich gewisse Stereotype in Gestik, Mimik und Intonation. Ihr Gegenüber Franck (Bernhard Vogt) befindet sich in der bisweilen undankbaren Rolle, nur passiv ein Echo zu liefern. Ansätze, die Spasmen seiner Bühnen-Partnerin zu persiflieren, erscheinen dabei eher unglücklich.

„Hilda“ bleibt dennoch eine gelungene und anregende Erstbegegnung mit der Autorin Marie NDianye. Neben der Konterkarierung ihres Textes durch die Besetzung ist dies nicht zuletzt auch dem originellen Bühnen- und Kostümbild von Konstanze Grotkopp zu verdanken, das mit einfachen Mitteln stets verblüffende Wirkungen zu erzielen vermag. CLAUS LÖSER

„Hilda“, 11. 3. , 15.–18. 3., 19.30 Uhr, Studiobühne Mitte, Sophienstraße 22A. Karten unter (0 30) 53 64 71 16