Lassen sich Ohrenentzündungen wegimpfen?

Ein neuer Impfstoff gegen die bakteriellen Keime zeigt ermutigende Studienergebnisse – doch zur Euphorie besteht kein Grund, denn Essig hilft auch

Etwa 600.000 Kinder erkranken jährlich an einer Mittelohrentzündung. Die Betroffenen klagen darüber, dass sich ihr Ohr voll anfühlt und schmerzt, manchmal gesellen sich auch noch Fieber und Ohrensausen hinzu. Die Eltern sind oft sehr besorgt, fürchten sie doch, dass das Gehör ihrer Kinder einen bleibenden Schaden nehmen könnte. Mit einer Impfung würden ihre Sorgen deutlich weniger, doch die galt bisher als problematisch. Dem Pharma-Unternehmen GlaxoSmithKline ist nun jedoch die Entwicklung eines passenden Impfstoffes gelungen, die zurzeit mit großem PR-Aufwand über die Medien publik gemacht wird.

Hauptauslöser der Ohrenentzündung sind zwei Bakterienstämme, nämlich Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae. Bisherige Impfstoffe schützten wohl vor den Streptokokken, nicht aber vor den anderen Erregern. Dieser Mangel wurde nun bei der neuen Impflösung behoben, indem man elf unterschiedliche Streptokokken-Stämme mit dem Protein des Influenza-Stammes zusammenbrachte.

In einer tschechischen Studie unter Professor Roman Prymula von der Universität Hradec Kralove erhielten 5.000 Säuglinge entweder den neuen Impfstoff oder aber, zum Vergleich, eine bei Ohrenentzündungen wirkungslose Hepatitis-Impfung. Bis zum zweiten Lebensjahr erkrankten daraufhin in der „korrekt geimpften“ Gruppe etwa 34 Prozent weniger als in der Kontrollgruppe. Bei den durch Streptokokken ausgelösten Erkrankungen betrug die Reduktion sogar über 52 Prozent.

Gute Ergebnisse. Doch ob das Mittel, wie vorgesehen, 2007 tatsächlich auf den europäischen Markt kommt, ist keineswegs sicher. Denn das Präparat zeigte bei den durch Haemophilus ausgelösten Erkrankungen gerade einmal eine Erfolgsquote von 35 Prozent, obwohl es gezielt auf ebendiese Erreger eingestellt wurde. Zudem zählt die Ohrenentzündung hierzulande nicht gerade zu den Erkrankungen, die zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Weswegen denn auch schon weitere Studien geplant sind, in denen der neue Impfstoff seine Wirkung bei Erkrankungen der unteren Atemwege belegen soll.

Gegen eine routinemäßige Impfung spricht auch, dass die Ohrenentzündung ganz gut auf alternative Heilverfahren reagiert. So zeigte eine Kombination von Sonnenhut, Kamille, Blutwurz und schwarzem Holunder in einer deutschen Studie ähnliche Erfolge wie Antibiotika, allerdings ohne deren Nebenwirkungen.

Und Forscher der Columbia University in New York entdeckten, dass Ohrenentzündungen bei Kindern seltener auftauchen, wenn man sie mit Fischöl- und Multivitaminzubereitungen versorgt. Selbst für den alten Hausmittel-Trick, ein paar Tropfen Essig ins schmerzende Ohr zu träufeln, existiert eine kleine klinische Studie, durchgeführt an der Universität Seoul.

Die Wissenschaftler träufelten 15 Patienten mehrmals täglich einige verdünnte Essigtropfen ins Ohr und verglichen ihr Wohlergehen mit 15 Patienten, die per antibiotischer Ohrenlösung behandelt wurden. Drei Wochen später waren die Essig-Anwender komplett beschwerdefrei, die Heilungsquote bei den Antibiotikum-Probanden lag hingegen nur bei 65 Prozent. JÖRG ZITTLAU