Auf der Cebit fällt der Strom aus

Vergesst UMTS! Auf der größten Computerschau der Welt warten Handys mit Bio-Scanner, vibrierende MP 3-Player, denkende Mikrowellen, Barbara Schöneberger und Angela Merkel. Hier ist der Ruck, auf den alle gewartet haben – nur Boris Becker ist nicht mehr da, und Ronaldo hat leider abgesagt

Von Kai Schöneberg

Barbara Schöneberger macht auf Rampensau: „Ich könnte auch Puppen bei Home Shopping Europe verkaufen, aber noch stehe ich hier.“ Das ist natürlich knallhartes Kokettieren mit der eigenen Erfolglosigkeit, aber knallhart findet die TV-Quasselstrippe nur die „Experten von der Telekom“. Schöneberger bequakt zwischen Riesenfußball und Magenta-Würfeln, dass seamless communication „Kommunikation ohne Zwicken und Kneifen“ heiße. Vielleicht hätte sich der Global Player Telekom, der noch 30.000 Jobs zu viel hat, kaum ein überflüssigeres Vamp-Imitat leisten können. „Mit einem einzigen Gerät kannst du eigentlich komplett deine Geschäftsprozesse erledigen“, himmelt Holger Schmidbauer von T-Systems die Schönebergerische an. Doch als plötzlich die Mikros schlappmachen, ist sie ihr Geld wieder wert. In der Telekom-Lounge sitzen nämlich nur Männer. Dann rennt die Schöneberger eben so lange stumm, hoch behackt und tief dekolletiert über den Catwalk, bis der Strom wieder geht.

Welcome, join the vision bei der 20. Ausgabe der Schau der großen Hoffnungen. Die Cebit, Nummer eins der Computermessen der Welt, läuft noch bis zum kommenden Mittwoch. Hier ist der Ruck, der die Republik beglückt, Aufschwung zum Riechen. Der Trend geht zum Dritt-Handy, der teuerste MP 3-Player der Welt ist mit Brillianten besetzt und kostet 20.000 Euro. Vodafone stellt ein Mobiltelefon mit Bio-Scanner für die „Problemzonen am Po“ vor, es gibt HDTV-Bildschirme in Kuh-, Krebs- oder Schweineform, und das Hamburger Start-Up Retrostar hat schon 10.000 Telefonhörer im 70er Jahre-Look für 29.95 Euro verkauft, die User per USB-Stick ans Handy stecken können – um damit zu telefonieren.

Auf der Cebit gibt‘s auch taiwanesische vibrierende MP 3-Player, die aussehen wie Tamagotchis, bei Motorola steht eine Kugel in Fliwatüt-Form oder wie früher die für die Kandidaten von „Der Große Preis“. Drin sitzt nicht Wim Thoelke, sondern echt begeisterte Kunden, die ihre Musik per Bluetooth ins Autoradio streamen. Vergesst UMTS, Samsung bietet HSDPA-Handys an, die schaffen 3,6 Megabyte pro Sekunde, das ist siebenmal so schnell. Halbnackte Hostessen vom Online-Versender Speed-Link verschenken in Halle 27 Kataloge mit biegbaren Keyboards und Laser-Mäusen. Kamelle fürs Volk sind auch die Tragetaschen: Alibaba.com aus China verschenkt Bags mit Alibaba.com-Logo – aber nur gegen Business-Card. Saturn in der City hat jetzt sogar am Sonntag geöffnet, Deutschland wird Weltmeister und die Cebit ist die Show, wo du die Zukunft anpacken kannst. Einfach dran glauben.

Wie schal sich der Spirit der Deutschland AG anfühlen kann, muss an diesem Donnerstag Deutschlands dienstältester Bügermeister feststellen. „Herr Schmalstieg, ein bisschen zur Seite“, rüpelt Metro-Chef Hans-Joachim Körber Hannovers OB an, damit die Blitzlicht-Kaskade nicht über ihn, sondern über die neue Cebit-Einweiherin prasselt. Angela Merkel schiebt den Metro-Einkaufswagen mit den Milka-Herzen, den Swiffers-Tüchern und der L‘Oreal-Haarlotion am Scanner vorbei. Nach mehrmaligem Versuch macht die „intelligente Kasse“, die die superkleinen RFID-Chips auf den Waren erkennt, „Piep“, wie Merkel erkennt. „Die Kanzlerin kauft ein“ wird ein Foto des ersten Cebit-Tags, damit was bleibt. Merkel kann nicht anders, schaut manchmal drein, als sei sie persönlich von der German disease befallen. Zu SPD-Zeiten war das anders, wenn der Chef zur Cebit kam. Neue Jobs schaffen, die Wirtschaft der Schlüsselbranche hier vor Ort irgendwie ankurbeln, das schaffen aber weder Merkel noch Gerhard Schröder. Und so rauscht die SMS-Kanzlerin, mal maskenhaft lächelnd, mal mit Merkel-Flunsch, bei AMD, SAP und dem mit Echtrasen dekorierten Bundeswehr-Stand vorbei.

Kanzlerbus. Merkel erkundigt sich bei einem Adlaten, ob das Notebook von Fuijutsu-Siemens, das ihr bei der Präsentation eben fast aus der Hand gefallen wäre, „auch etwas für uns ist“. Aber sie hat auch ein Ohr für Walter Hirche: „Am Anfang war bei Ihnen ‘ne Ampel-Koalition?“, fragt Merkel erstaunt. Hirche ist nicht nur derzeit Wirtschaftsminister in Niedersachsen, sondern war dies bereits von 1990 bis 1994 im rot-gelb-grünen Brandenburg, bevor er Staatssekretär in Merkels Umweltministerium wurde. Als sie einen Journalisten entdeckt, der die Szene mitschreibt, blafft sie ihn an: „Wo kommen Sie her?“ Aber warum, bitteschön, soll man die harmlose Szene, die doch nur beschreibt, wie unbeleckt die oft als so alert beschriebene Kanzlerin sein kann, nicht beschreiben dürfen?

Deutschland 2006, das ist auch der pompöse Stand des kleinen Bundeslandes Bremen in Halle 9. Auch hier regiert eine große Koalition. Zwei aus Computer-Hunden bestehende Fußball-Teams versuchen, das Runde ins Eckige zu jagen. Bremen ist nämlich Gastgeber des Robocup 2006, einer Art Fußball-WM für Computer. Es ist wie bei Klinsis Jungs, den Bayern und leider auch so tragisch wie bei Werder – aber ohne Italiener: Die bremischen Computer-Hündchen stehen allein vor dem Tor und schießen ins Leere, viele hoppeln aus dem Spielfeld. „Ich mag die Deutschen“, sagt Aivar Usk vom estischen Softwarespezialisten Cybernetica, der ein paar Meter entfernt versucht, Cebit-Besucher für sein völlig computergesteuertes Polizeiauto zu interessieren. „Aber sie sind so auf sich selbst zentriert.“

Peter Harry Carstensen, ebenso Chef einer großen Koalition, ist auch da. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein „verrät“, dass er schon in einer seiner ersten Bundestagsreden 1983 über Mikroelektronik gesprochen habe. Carstensen ist 58 und surft zu Hause mit Wireless-Lan. Damals habe er „bei einer Wette eine Flasche Cognac gewonnen, weil ich in der Rede das Wort „Dumdidum“ untergebracht habe: „Wenn man bei einem Computer auf die Taste drückt, hat man Dumdidum das Ergebnis“, habe er gesagt. Und schon damals auf seinem Commodore Programme geschrieben.

Das wird so um 1986 gewesen sein, als die Wirtschaft brummte und die Cebit laufen lernte. Da hatte man Boris Becker bei der ersten Cebit vor einem Rechner sitzen, der heute im Museum stehen könnte. 2006 hat Ronaldo leider abgesagt, die Besucher müssen sich mit Eisschnellläuferin Anni Friesinger und dem Producer Mousse T begnügen.

Als der Merkel-Tross abzieht, reibt sich Metro-Chef Körber die Hände. Seine Future Store Initiative ist gar nicht so ganz schlecht eingeschlagen. Immerhin hat die Metro, die als erstes Handelsunternehmen auf der Cebit ausstellt, gleich 3.000 Quadratmeter Messefläche gebucht, um auch selbst einkaufende Kühlschränke und denkende Mikrowellen zu verramschen. Das mit dem Datenschutz sei doch kein Problem, sagt ein Metro-Mann: Peruanische Bauern würden ihre sündhaft teuren Alpaca-Lamas bereits mit den RFID-Chips bestücken, damit sie nicht geklaut werden, Forscher der Uni Würzburg damit das Geschlechtsverhalten von Bienen testen. Körber sagt, noch würden die RFID-Chips 14 Cent kosten, in ein paar Jahren würde „die Sache ganz anders aussehen“. Und: „Man kann das mit dem Datenschutz doch auch positiv sehen: Wir wissen, was sie wollen – das ist dann wie früher im Tante Emma-Laden.“