: Prämie für Realisten
VOLKSENTSCHEIDE Der Politikwissenschaftler Paul Tiefenbach plädiert in „Alle Macht dem Volke?“ für mehr direkte Demokratie
Paul Tiefenbach, in Bremen eine Hauptfigur des Vereins „Mehr Demokratie“ und Miterfinder des neuen Landtagswahlrechts, geht es um einen realistischen Umgang mit direkter Demokratie. Gleich zu Beginn seines Buchs warnt er vor Heilserwartungen, und so entwickelt er in angenehm unprätentiöser Sprache und mit einer Fülle internationaler Beispiele ein Bild von direkter Demokratie als etwas, was unter bestimmten Bedingungen gelingen kann – aber eben auch scheitern; und was auch ernüchternde Erfahrungen und ernste Probleme mit sich bringt.
Dazu gehören ausdrücklich nicht die in Deutschland tabuisierten haushaltsrelevanten Volksentscheide. Im Gegenteil, gerade diese Option erweist sich, zumal in der Schweiz, wo große Ausgaben oft ein Bürgervotum erfordern, als erfolgreiches Sparprogramm: Die Staatsverschuldung liegt bei nur 45,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind 204 Milliarden Franken. Und sie sinkt seit zehn Jahren.
Höchste Zeit, zumindest derartige Finanzreferenden in Deutschland einzuführen, befindet Tiefenbach. Als beunruhigendes Problem von Volksentscheiden benennt er zugleich ihre regelmäßige Minderheitenfeindlichkeit – vom Minarettverbot über maßlose Rauchergängelung bis zur Eindämmung der Homo-Rechte.
Eine Tendenz, die sich, unter dem Regime einer Verfassungssouveränität nach deutschem Modell, wenigstens eindämmen ließe: Vor einer Gesetzgebung, die Grundrechte aushebeln würde, ist Deutschland, anders als die Schweiz, durchs Grundgesetz geschützt.
Nicht geschützt ist man vor frustrierenden Erfahrungen wie den sogenannten Bürgerhaushalten. Bei diesen kann, wer will, mitunter Vorschläge für die Verwendung eines lachhaften Bruchteils der Kommunalfinanzen einreichen, oft aber auch nur Sparideen formulieren: In den Städten Nordrhein-Westfalens ist dieses Pseudobeteiligungsmodell sehr beliebt, weil sich gegen von den Bürgern gemachte drakonische Sparmaßnahmen nur ganz selten Protest regt. Und der ist auch nie so wütend.
Populismus ist untypisch
Tiefenbach bezeichnet dieses Disziplinierungsinstrument, fast noch freundlich, als „Beschäftigungstherapie für engagierte Bürger“, die der administrative Apparat übers Stöckchen springen lässt: Die Festhalle schließen, die Hundesteuer erhöhen, das Fußballstadion aufgeben, „all diese Vorschläge nahm die Stadtverwaltung wohlwollend zur Kenntnis“, schildert Tiefenbach das Vorgehen in Solingen. Brüsk als „unwirtschaftlich“ abgelehnt worden sei aber „die Idee, den Dienstwagen des Bürgermeisters durch einen Smart zu ersetzen“.
Der Populismus des Sparvorschlags ist nach Tiefenbachs Darstellung für direkte Demokratie eher untypisch. Denn echten Volksentscheiden gehen breite, volksbildende öffentliche Debatten voraus: So gesehen erweisen sie sich als eine Prämie für Realisten. Meist treffen hier zwei Seiten aufeinander, die ein starkes Interesse haben, für ihre Position zu werben – durch Information.
Wie erfolgreich die ist, das hängt wie fast alles im Leben auch hier vom Geld ab. Doch während die Summen im Dunkeln bleiben, die in die Überzeugungsarbeit fließen, die Interessenverbände in Parlamentslobbys leisten, ließen sich Budgets für Kampagnen per Gesetz beschränken und transparent gestalten. Korruption aber hat bei Volksentscheiden nur wenig Aussicht auf Erfolg.
BENNO SCHIRRMEISTER
■ Paul Tiefenbach: „Alle Macht dem Volke? Warum Argumente gegen Volksentscheide meistens falsch sind“. VSA, Hamburg 2013, 192 S., 14,80 Euro
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