Windpark für Engel

Windkraftanlagen sind nicht allein dafür gut, physikalisch Energie zu gewinnen. Auch die metaphysische Ebene kann profitieren. Jan Philip Scheibe stellt Windenergie in einen neuen Kontext

VON DIERK JENSEN

Was haben Engel mit Windenergie zu tun? Gewöhnlich nicht viel. In Schöppingen allerdings gehen Engel und Windenergie einen ungewöhnlichen Dialog ein. Inmitten des dortigen Windparks zieht ein rot leuchtender Schriftzug in 16 Meter Höhe seit einigen Monaten staunende Blicke auf sich: „Er macht seine Engel zu Winden“, so steht es da. Heiner Konert, Geschäftsführer des Windparks, freut sich indessen über die „positive Wahrnehmung“, die dem Kunstobjekt von Jan Philip Scheibe entgegengebracht wird. „Darin steckt für mich auch die Frage nach der Schöpfung“, interpretiert Konert die auf einem massiven Stahlträger montierten Lettern.

Der stumme Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart im erzkatholischen Münsterland inspirierte den Künstler zur Installation. Mit dem Satz „Er macht seine Engel zu Winden“, eine Psalmstelle aus dem Alten Testament, versucht der 34-jährige Künstler eine Verbindung zwischen Windenergie und Engeln – man kann auch sagen „religiöser Energie“ – herzustellen. „Jeder kann sich dabei seine eigenen Engelsgedanken machen“, erklärt Scheibe. „Wie fühlen sich Engel an? Fühlen sie sich an wie der Wind?“ Seine Arbeit lade jeden dazu ein, die Landschaft neu zu entdecken, um ihr, im besten Falle, schließlich wieder auf die Spur zu kommen. Durch diese Spurensuche im ländlichen Raum im Nordwesten Nordrhein-Westfalens, das vor allem durch Landwirtschaft und Wald geprägt ist, nimmt der Betrachtende auch die Windkraft neu wahr.

Die Lichtinstallation am Schöppinger Berg entstand im Zuge der „Skulptur-Biennale Münsterland Kreis Borken“, an der 15 bildende Künstler unter der Themenvorgabe „Latente Historie“ teilnahmen. Sie haben an verschiedenen Orten des Landkreises Borken interessante Kunstprojekte angestiftet. Unter anderem auch Thomas Kilpper, der sich mit seinem Entwurf „Castoren zu Halfpipes“ mit dem Atommülltransport in Ahaus beschäftigt, der in und durch die westfälische Kleinstadt führt und wo ein Zwischenlager für Atommüll existiert. Während Kilppers Projekt zu lokalpolitischen Eklats führte, verlief die Vorbereitungsphase im Windpark Schöppinger Berg dagegen entspannt. Während die Kommunalpolitiker der 7.800 Seelen zählenden Gemeinde Schöppingen genauso wie die Betreiber des 25,2 Megawatt großen Bürgerwindparks das Vorhaben begrüßten, meldete nur der Windenergie-Anlagenhersteller Enercon ernsthafte Bedenken an.

Denn ursprünglich wollte Scheibe seine roten Leuchtbuchstaben, sechzig Zentimeter hoch, vertikal und direkt auf den Turm einer Anlage montieren. Doch das lehnte der Auricher Turbinenhersteller brüsk ab. „Leider können wir etwaige Risiken (Nachahmer mit weniger schönen Inhalten, gesellschaftliche Gegenbewegungen) dieser öffentlichkeitswirksamen Skulptur nicht klar genug überblicken“, schrieb man aus der Firmenzentrale in Aurich. Doch ließ sich Scheibe nicht beirren. Er verwarf kurzerhand seine alte Idee, ging von der Vertikalen in die Horizontale und rang sich schließlich zur jetzigen Lichtskulptur durch.

„Mein Hauptinteresse ist die Gestaltung“, sagt Scheibe, „das kann sich sowohl auf Landschaften als auch auf Gedanken beziehen.“ Für den Designer, der an der Aachener Fachhochschule studierte, ist das entscheidende Gestaltungsmittel fast immer das Licht. Dies inspiriert ihn immer wieder zu neuen Ideen, oft in künstlerischer Kooperation mit der Ethnologin und Fotografin Swaantje Güntzel, „um Licht und Landschaft zusammenzubringen“. Dabei schwingt in seinen Arbeiten, ob es nun Straßenlaternen auf einer Alm, ein „Lichtpflanzenfeld“ oder ein beleuchteter Pflasterstein sind, die Freude an der künstlerischen Gestaltungsfreiheit mit.

Offenbar mag er Überraschungen, und nur zu gerne spielt er mit der Wirkungskräften der Elemente. Wie bei den rot leuchtenden Buchstaben in Schöppingen, die gerade bei Dämmerung beeindruckend zur Geltung kommen. Dies ist sicherlich ganz im Sinne des Künstlers, der gerne neue Fragen aufwirft, ohne sie unbedingt selber beantworten zu wollen. Und weshalb rote Buchstaben? „Sie konnten nur rot sein“, erklärt der junge Mann zu seinem voluminösen Werk. „Rot ergibt mit dem typischen Enercon-Grün am unteren Turmabschnitt und den Feldern ringsherum einen wunderbaren Kontrast“, weiß Scheibe.

Fünf Jahre lang sollen die Lettern von Scheibe noch in die windreiche Landschaft hineinleuchten. Solange betreut der Kreis Borken das rund 20.000 Euro teure Kunstobjekt. „Was dann passiert, ist noch offen“, sagt Scheibe gelassen. „Vielleicht finden sich ja dann Interessenten oder Sponsoren, die es weiterfinanzieren“, so die leise Hoffnung des Objektkünstlers, der bislang eher durch kurzlebige Installationen auf sich aufmerksam machte. Insofern kann die Windszene nur froh sein, dass das lichte Objekt am Fuße der Enercon-Mühlen vom Typ E-66/70 länger als nur für ein paar Stunden oder Tage den Dialog mit den Betrachtern sucht. Über Ästhetik, über Form, über Konzepte lässt sich ja wunderbar streiten, das weiß jeder, doch muss man einen solchen Diskurs erst einmal zulassen, um überhaupt zu neuen Erkenntnissen zu kommen. Im Grunde bräuchte es viele Akteure à la Scheibe, die sich auf künstlerische wie spielerische oder auch konzeptionelle Weise mit dem Objekt Windenergieanlage und seinem Einfluss auf Landschaft und Mensch beschäftigen. Wie meinte doch Windmüller Heiner Konert: Die hohe Akzeptanz gegenüber der Windkraft spiegele sich im Kunstwerk wider.