Darf man bei Hitze blaumachen?
Ja

ZU VIEL Affenhitze, Bruthitze, Bullenhitze, Gluthitze und Deutschland ist nicht darauf vorbereitet: keine Siesta, keine Klimaanlagen, keine Lehmmauern, niemand, der süßen Pfefferminztee vorbeibringt. Da hilft nur Selbsthilfe

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz. www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Konstantin Faigle, 41, ist Regisseur und Autor des Kinofilms „Frohes Schaffen“

Jeder siebte Verkehrsunfall mit Verletzten passiert an Tagen mit Temperaturen über 25 Grad. Hauptursachen: mangelnde Konzentration und Zeitdruck, die meisten Unfallverursacher sind Berufspendler. Blickte ein Außerirdischer auf die Blechkolonnen, die sich auf den Autobahnen durch wabernde Hitze schieben, würde er sich fragen: „Was machen die eigentlich? Die menschliche Spezies hat so eine hohe Produktivität entwickelt, dass jeder genügend Nahrung, notwendige Dinge und freie Zeit zur Verfügung hätte. Stattdessen hungert eine Hälfte der Menschheit, während die andere an Überproduktion und Geschäftigkeit erstickt und an heißen Tagen unnötige Unfälle auf der Autobahn produziert. Irre, oder?“

Emel Zeynelabidin, 52, ist Autorin und Aktivistin für interreligiösen Dialog

Als pflichtbewusste Muslimin, die gelernt hatte, ihren Körper unter Stoffmengen zu verhüllen, habe ich nie blaugemacht: Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Seit ich nach dreißig Jahren Verhüllung mein Kopftuch abgelegt habe, bin ich in meiner muslimischen Gemeinde die „Königin der Blaumacher“. Dieses Blaumachen beschert mir im Sommer frischen Wind in meinen Haaren. Ein Wind, den ich nicht mehr missen möchte, weil er mir ein entlastendes Körpergefühl verleiht. Heute frage ich mich, was Gott von mir als Blaumacherin hält. Und ich frage mich, ob meinen nichtmuslimischen Geschlechtsgenossinnen ihre Freiheit zur Selbstbestimmung bei ihrer Sommerkleidung bewusst ist.

Jens Gäbert, 69, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in einer Hamburger Kanzlei

Aber selbstverständlich! Unabdingbare Voraussetzung ist jedoch, dass die Temperatur im Arbeitsraum nachhaltig 35 Grad übersteigt. Dann ist ein Raum nicht zum Arbeiten geeignet. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in Arbeitsräumen eine gesundheitlich zuträgliche Temperatur herrscht. Was gesundheitlich zuträglich ist, definieren die Technischen Regeln für Arbeitsstätten. Danach muss der Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, sofern die Außenlufttemperatur 26 Grad übersteigt. Effektivere Maßnahmen sind nötig, wenn die Temperatur im Raum mehr als 30 Grad beträgt.

Clara Winandy, 20, ist taz-Leserin und hat unseren Streit per E-Mail kommentiert

Manchmal geht’s nicht anders: Um Blaumachen zu verhindern, müsste man die Bürozeiten viel flexibler gestalten. Durch die Verlegung der Arbeitszeit in die frühen Morgenstunden oder spät in die Nacht könnten Arbeitnehmer der Hitze entgehen. Auch könnte mehr von zu Hause oder an der frischen Luft gearbeitet werden. Laptops, Tablets und Smartphones machen es möglich.

Nein

Tom Hodgkinson, 45, ist Herausgeber des britischen Magazins „The Idler“

Eigentlich müsste ich als Herausgeber einer Zeitschrift namens „The Idler“, Der Müßiggänger, das Blaumachen an heißen Tagen wohl in den Himmel loben. Allerdings bin ich der Meinung, dass ein Arbeitsvertrag einen Deal mit dem Arbeitgeber darstellt, an den man sich halten sollte – auch wenn es glühend heiß ist. Der Arbeitnehmer hat daher nicht das Recht, den ganzen Tag faul in der Sonne zu liegen. Aber ich finde auch, dass Chefs sich liberal geben und an heißen Tagen halbe Arbeitstage einführen sollten. Noch besser wäre es allerdings, einfach zu kündigen. Dann ist man frei.

Markus Schulte, 47, ist Sprecher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Berlin

Nein, das wissen wir schon aus der Schule. Wer blaumacht, riskiert einen Tadel. Oder, auf der Arbeit: Abmahnung oder Kündigung. Besser miteinander reden, um für Beschäftigte und Arbeitgeber tragfähige Lösungen zu vereinbaren – denn „Hitzefrei“ gibt es nicht! Es hilft schon, in den frühen Morgenstunden durch Lüften für Kühlung und tagsüber mit Jalousien für Schatten zu sorgen. Schwere körperliche Arbeit in den heißen Stunden sollte man vermeiden. Besonderen Schutz brauchen werdende oder stillende Mütter, Frauen an Steharbeitsplätzen, ältere und gesundheitlich gefährdete Beschäftigte. Und wer viel schwitzt, muss mehr trinken, bei Sommerhitze im Büro mindestens einen Liter zusätzlich.

Tim Hagemann, 42, leitet das Institut für Arbeitspsychologie und -medizin in Berlin

Nein, auch tropische Hitze entschuldigt nicht, dass man nicht zur Arbeit erscheint. Es ist offensichtlich, dass Busfahrer, Pfleger und Wasserwerker ihren Einsatz kaum vom Thermometer abhängig machen können. Das gilt für die meisten Berufe. Allerdings sollten Strategien unterstützt werden, die helfen, mit der Hitze besser umzugehen: verlängerte Mittagspausen, kühlende Fußbäder. Das Arbeiten müsste generell langsamer sein, angenehme Kleidung und Ventilatoren helfen. Außerdem sollten Wasserspender und eine erfrischende, leichte Kost durch den Arbeitgeber bereitgestellt werden.

Julian Fick, 17, ist im Vorstand der LandesschülerInnenvereinigung Bayern

Ich finde es nicht richtig, bei Hitze blauzumachen. Schüler legitimieren das meist damit, dass in den letzten Wochen keine Noten mehr gemacht werden. Ohne diesen Druck sehen sie keinen Sinn mehr im Schulbesuch. Für mich impliziert die Frage ein viel tiefgründigeres Problem, nämlich dass Schüler nicht gerne zur Schule gehen. Ich bin überzeugt, dass Schule durchaus Spaß machen kann. Der deutsche Gehirnforscher Gerald Hüther plädiert dafür, Kinder wie Fackeln anzuzünden anstatt sie wie Fässer abzufüllen.