Klein-Rocky im Wartestand

Der Berufsboxer Felix Sturm will sich heute Abend den WM-Gürtel im Mittelgewicht umschnallen. Sein Gegner im Ring, der Neuseeländer Maselino Masoe, gilt freilich als gefährlicher Haudrauf

„Felix muss höllisch aufpassen, dass er nicht in eine Bombe reinläuft“

VON BERTRAM JOB

Liegt es nun am Gegner, oder ist er tatsächlich gereift? Wer die jüngsten öffentlichen Auftritte des Berufsboxers Felix Sturm erlebt hat, durfte sich in diesen Tagen wundern. Bis vor kurzem kam der inzwischen 27-Jährige nur selten ohne ein ganzes Arsenal an Superlativen aus, wenn er von sich und seinen Ambitionen sprach. Die Welt und wie ich sie erobern werde – solche im Stakkato-Tempo vorgebrachten Kurzreferate ist man in diesem Lande eher von Gegnern und Gästen aus Übersee gewohnt.

Ausgerechnet vor dem bisher wichtigsten Vergleich seiner Profikarriere wählt der Leverkusener mit bosnischen Vorfahren jedoch lieber die leisen Töne. Den Impressarios in seinem Hintergrund würde es fürs Erste sogar reichen, wenn er einfach sportlich der Bessere ist – so wie bisher stets in 25 Profikämpfen. Heute trifft der hochbegabte Mittelgewichtler in Hamburg auf einen Titelträger, dem trotz seiner 39 Jahre der Ruf eines gnadenlosen Zerstörers vorauseilt. Maselino Masoe hat exakt vier Niederschläge in nicht mal zwei Runden gebraucht, um sich im Mai 2004 beim Kampf um den vakanten Titel der World Boxing Association (WBA) gegen Evans Ashira durchzusetzen. Damit steigerte der Neuseeländer seine beeindruckende K.o.-Rate auf 25 vorzeitige von insgesamt 26 Erfolgen (zwei Niederlagen). Und nach den Eindrücken aus dem öffentlichen Training zu urteilen, ist der „nicht vorbeigekommen, um seinen Gürtel einfach so abzugeben“, wie jemand von der veranstaltenden Universum-Box-Promotion sagte.

Anfang der Woche durfte man das sogar wörtlich verstehen. In der Annahme, es ginge um den Titel der konkurrierenden WBO (World Boxing Organisation), hatte der Neuseeländer seinen WBA-Gürtel bei der Anreise aus South Auckland gar nicht erst mitgenommen. Deshalb verständigte man sich darauf, ein neues Modell durch die Offiziellen der WBA anliefern zu lassen, die am Rande der WM ohnehin zu ihrer Jahresversammlung an der Elbe zusammenströmen. Irgendeinen Gürtel werden sie also auftreiben, und wie man sich den umlegt, weiß Sturm sehr genau. Vor zweieinhalb Jahren war er für den erkrankten Stallgefährten Bert Schenk eingesprungen, um den WBO-Titelträger Hector Velazco über zwölf Runden auszuboxen. Das war auch für seine Betreuer eine Überraschung, die der Youngster neun Monate darauf durch ein Duell mit der amerikanischen Boxikone Oscar De La Hoya noch einmal zu toppen schien.

Am Ring des MGM Grand Casinos in Las Vegas aber waren die Karten von Beginn an gezinkt. Nicht der deutsche Underdog, sondern die von ihm düpierte Boxlegende erhielt den Jury-Zuspruch. Dennoch war dieser Fight der Startschuss zu einem mittleren Hype, in dessen Folge sich der extrovertierte Boxprofi mal als beredter Talkshow-Gast und mal als stilisierter Neo-Rocky zwischen Schweinehälften in Lifestyle-Magazinen wiederfand. Gleichzeitig aber blieb er ein Held im Wartestand, weil statt der ganz großen Kämpfe nur halbgroße folgten. Ein internes Stallduell gegen den lustlosen Exchampion Bert Schenk verlief zu einseitig, um zu begeistern; weitere Siege über passable Gegner konnten im Vergleich zur grandiosen Vorstellung gegen De-La-Hoya nur abfallen.

Gezielte Karriereplanung ist offenbar nicht die erste Priorität im größten Boxcamp Europas, wo Promoter Klaus-Peter Kohl Titelträger und Anwärter zu Dutzenden stapelt. Doch Sturm, der unter seinem Geburtsnamen Adnan Catic schon Europameister der Amateure wurde, nutzte die ruhige Phase, um sich zu verbessern. Der Kölner Ernährungsberater Clive Salz hat ihm Essmanieren beigebracht, Trainer Michael Timm baute sein Schlagrepertoire aus. Somit ist der fanatische Boxfan, der im Training „ackert wie ein Tier“ (Timm), laut seinem Coach „im Ring noch stabiler“ geworden sowie genauer in den Schlägen. Da kommt der erneute Titelanlauf allen recht. Auch Kohl könnte nach einem verlustreichen Jahr mit attraktiven Pleiten (Mario Veit, Thomas Ulrich, Luan Krasniqi) frische Champions gebrauchen – die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung mit dem TV-Partner ZDF sind dem Vernehmen nach gerade angelaufen.

Wie groß die Hürde ist, die Sturm am Samstag nehmen muss, erscheint indes weiter rätselhaft. Seit seinem Titelgewinn vor zwei Jahren hat Titelverteidiger Masoe nicht mehr im Ring gestanden. Erst blockierte ihn eine Handverletzung, dann das Gefeilsche mit Promoterzar Don King, der den Neuseeländer für kleines Geld tingeln lassen wollte. Sicher verfügt der um zwölf Jahre jüngere Herausforderer über die besseren Reflexe, doch dessen Trainer Timm predigt lieber Vorsicht: „Felix muss höllisch aufpassen, dass er nicht in so ’ne Bombe reinläuft.“