„Die böse Hälfte angreifen“

IKONEN Geschichtsprofessor erklärt gestalterische Regeln von Heiligenbildern, die bis heute gelten

■ ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Köln.

taz: Warum sprechen Sie über Ikonen? Ist das nicht ein veraltetes Phänomen?

Christoph Schmidt: In unserer Kultur gewinnt es wieder an Aktualität, denn die verlagert sich grundsätzlich hin zum Bild. Die Mechanismen, wie Bilder kommunizieren, sind wieder wichtiger geworden und Ikonen als älteste Bildgattung der christlichen Kultur prägen ihre Grundformen bis heute.

Welche Grundformen?

In Europa haben Bilder eine klassische Bewegungsrichtung: Die Handlung vollzieht sich von links nach rechts. Links sind die Guten und rechts die Bösen.

Ist die Bewegung des Guten ins Böse nicht verkehrt herum?

Nein, denn die Guten versuchen immer die Bösen zu retten. Kämpft beispielsweise ein Ritter gegen einen Drachen auf der rechten Seite, versucht er die böse Hälfte anzugreifen. Die Bewegungsrichtung ist eine Aufforderung die gute Seite auszudehnen.

Spielen Ikonen in unseren Kirchen noch eine Rolle?

In der katholischen Kirche, insbesondere in Italien, schon. In der evangelischen Kirche ist das Phänomen seit der Reformation auf dem Rückzug, wegen der Trennung von Religion und Magie.

Magie?

Magisch heißt zum Beispiel, ich gehe mit einem gebrochenen Bein zu einem heiligen Bild und opfere. Ein paar Monate später ist das Bein wieder in Ordnung, und ich führe das auf das Wunderbild zurück.

Wird die Ikonenmalerei noch praktiziert?

Aber ja, sie steht in bester Blüte bei vielen Liebhabern auch in Deutschland, von orthodoxen Regionen ganz zu schweigen. Wenn man selbst eine Ikone malt und sie von einem orthodoxen Priester weihen lässt, dann ist das eine vollständig gültige Ikone. Im Kern sind Ikonen ein eher orthodoxes Phänomen.

Interview: KK

Vortrag „Ikonen – Fenster der Ewigkeit“, 20 Uhr, Haus der Wissenschaft