„Da tränen einem die Augen“

INTERVIEW THILO KNOTT

taz: Herr Huber, haben Sie sich schon bei Bundespräsident Horst Köhler bedankt?

Berthold Huber: Warum sollte ich?

Er hat für Arbeitnehmer eine Beteiligung am Firmenkapital und Gewinnen gefordert.

Das war ziemlich wohlfeil. Die meisten deutschen Unternehmen sind keine Aktiengesellschaften. Da stellt sich die Frage der Kapitalbeteiligung gar nicht.

Köhler hat aber die Vorfahrtsregel geändert: für Arbeitnehmer statt für Arbeit.

Warum sollte ich mich dafür bedanken? Wenn der Bundespräsident für das ganze Volk zuständig ist, dann kann er vor der Ungleichentwicklung von Unternehmensgewinnen und Lohnerhöhungen nicht die Augen verschließen.

Haben Sie sich wenigstens bei Wirtschaftsminister Michael Glos bedankt?

Bei wem ich mich alles bedanken soll!

In ihrem Monatsheft metall zitieren Sie den CSU-Politiker als Kronzeugen für höhere Löhne. Was ist da los?

Wo der gute Mann Recht hat, hat er Recht. Unabhängig von Parteizugehörigkeit.

Fühlen Sie sich nicht im falschen Film, wenn Ihnen die CDU/CSU jetzt Rückhalt gibt?

Es ist eben an der Zeit, dass neue Konzepte kommen. Das neoliberale Großexperiment, Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung durch Lohnzurückhaltung zu erzeugen, ist ja grandios gescheitert.

Bei der letzten Tarifrunde 2003/2004 gab es immensen politischen Druck. Tarifautonomie, Mitbestimmung, Kündigungsschutz: alles stand zur Disposition. Können Sie sich diesmal zurücklehnen?

Zurücklehnen gewiss nicht, aber die politische Gesamtsituation ist eine andere. Die große Koaltion hat zu Anfang ihrer Regierungszeit eine Grundsatzentscheidung getroffen.

Welche?

Sie stellt Tarifautonomie, Mitbestimmung, Fragen von Arbeitnehmerrechten nicht mehr infrage. Bis vor kurzem waren die Gewerkschaften noch der Buhmann der Nation. Diese Einseitigkeit scheint vorbei. Und dafür loben wir die große Koalition.

Vielleicht trägt Angela Merkel ihren Paul Kirchhof ja noch unterm Schafspelz?

Ihre radikal neoliberale Linie war bei der Bundestagswahl nicht mehrheitsfähig – und führte die CDU in ein Desaster. Ich habe den Eindruck, dass Merkel und ihre Strategen einen Kurswechsel eingeschlagen haben. Nämlich die stärkere Berücksichtigung der eigenen Basis: der Arbeitnehmerschaft.

Deswegen haben Sie Ihre Zurückhaltung in dieser Tarifrunde aufgegeben und fordern 5 Prozent mehr Lohn. Ist Ihnen die starke internationale Konkurrenz auf einmal egal?

Der internationale Druck wird doch gemeistert. Die Exporte sind schon wieder gestiegen!

Die Arbeitgeber sagen: Dann lasst uns die Exportstärke nicht durch hohe Löhne schwächen!

Parallel dazu haben nicht nur die DAX-Unternehmen signifikante Gewinnsteigerungen. Dass die Menschen und ihre Gewerkschaft eine Beteiligung daran haben wollen, liegt doch auf der Hand.

Und die 5 Millionen Arbeitslosen, haben Sie die bei Ihrer Lohnforderung vergessen?

Ganz und gar nicht. Das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist, die Binnenkonjunktur zu stärken – auch durch höhere Löhne. Autos kaufen keine Autos. Ohne Konjunkturbelebung wird die Arbeitslosigkeit sowieso nicht sinken. Und Verlagerungen ins Ausland, die Arbeitsplätze kosten, haben andere Gründe: Die extrem exportorientierte Metall- und Elektroindustrie, die ja den Großteil des Exportüberschusses erwirtschaftet, steht unter enormem Produktivitätsdruck. Es ist doch heute so: Endproduzenten wie Opel und Ford vergeben an Zulieferfirmen keine Aufträge mehr, wenn diese nicht im Ausland, in Osteuropa etwa, Produktionsstätten aufbauen. Das ist das Diktat.

Martin Kannegiesser, der Arbeitgeberpräsident, hat Ihnen ein Angebot gemacht. Sein Motto für die Tarifrunde lautet: „Arbeit in Deutschland halten!“ Machen Sie mit?

Das tun wir doch längst. Seit 2004 gilt die Pforzheimer Vereinbarung, in der festgeschrieben ist, dass Betriebe vom Flächentarifvertrag abweichen können, wenn damit Beschäftigung, Standorte oder Investitionen garantiert werden. Damit haben wir bisher hunderttausende Arbeitsplätze gesichert.

Aber nicht ohne Opfer für die Beschäftigten. Oft gibt es Lohneinbußen für eine mickrige Jobgarantie von zwei Jahren.

So einfach läuft das nicht. Die meisten Jobgarantien sind länger: zum Beispiel bei Daimler bis 2012, bei VW ebenfalls. Gleichzeitig werden in den meisten dieser Verträge Investitionen festgelegt oder Qualifizierungsmaßnahmen. Und dennoch ist das schlimm für die Beschäftigten, wenn sie von einem Tag auf den anderen 20 Prozent Lohneinbußen haben.

Aber?

Was ist denn die Alternative? Es gibt keine. In Deutschland hat eine neue Rücksichtslosigkeit Einzug gehalten – und weil unser oberstes Ziel sichere Arbeitsplätze sind, akzeptieren wir bestimmte Abweichungen bei definierten Bedingungen. Wo die Globalisierung nur zum Vorwand genommen wird, um bei den Leuten Geld zu holen, sagen wir Nein.

Das können Sie auch jetzt nicht ausschließen.

Doch. Wenn es nur darum ging, die Umsatzrendite zu steigern, haben wir abgelehnt. Das waren hunderte Fälle. Vor einem abweichenden Tarifvertrag prüfen wir immer zunächst die Zahlen. Was unsere Wirtschaftsgutachter oft an Misswirtschaft feststellen müssen, ich sag’s Ihnen, da tränen einem die Augen.

Zum Beispiel?

Firmen, die kein Marketingkonzept haben. Die seit Jahren überhaupt nicht mehr investiert haben. Und dann kommt irgendwann der Arbeitgeber und droht seinen Arbeitern: Wenn ihr bei Lohn und Arbeitszeit nicht nachlasst, dann sind wir bankrott. Oder er droht mit der Verlagerung ins Ausland. Das ist heute die Realität in der deutschen Wirtschaft.

Ihre starke Konzentration auf die Betriebe: Sie nennen das „kontrollierte Dezentralisierung“.

Wir wollen den Flächentarifvertrag stabilisieren – indem wir den Betrieben Atmungsmöglichkeiten geben.

Die Arbeitgeber hätten da noch ein paar mehr Atmungsmöglichkeiten: Zum Beispiel ein geringeres Entgelt oder eine längere Arbeitszeit für Neueingestellte, wenn Betriebe damit tatsächlich auch neue Stellen schaffen.

Auch das gibt es schon. Wir reagieren ja nicht nur auf Krisen. Wenn eine Firma eine neue Produktpalette auflegt, kann sie beantragen, ihre Leute für einen bestimmten Zeitraum länger arbeiten zu lassen. Aber bei den Arbeitgebern läuft es immer nach dem Motto: Genug ist nicht genug! Es geht um die generelle Ablösung der 35-Stunden-Woche. Da werden wir definitiv nicht mitmachen.

Teilen Sie den Eindruck, dass die IG Metall mit ihrer Konzentration auf die Tarifpolitik sozialpolitische Einflussnahme vernachlässigt?

Nein, das ist so nicht richtig. Im Kontext der Agenda 2010 haben wir die größte Gegendemonstration mit einer halben Million Menschen organisiert und uns mit konkreten Vorschlägen in die Debatte eingebracht.

Und?

Durch die Angriffe der Arbeitgeber auf die Tarife ist die Schutzfunktion der Gewerkschaft stark gefordert. Solch betriebliche Auseinandersetzungen wie bei AEG in Nürnberg sind ja quasi kleine Tarifrunden. Das erfordert Kraft, richtig viel Einsatz.

Zu viel Einsatz?

Nein, die IG Metall ist leistungsfähig. Aber manche lieb gewordenen, weniger konfliktträchtigen Arbeitsfelder muss man in solchen Zeiten zurückstellen. Daher konzentrieren wir uns in der Sozialpolitik auf arbeitslose Arbeitnehmer über 55 Jahren, auf Jugendarbeitslosigkeit und unser zweites großes Thema dieser Tarifrunde: die Qualifizierung der Belegschaft.

Wie viele Tage haben Sie 2005 in Qualifizierung gesteckt?

2005 war ich nicht auf außerhäusigen Seminaren. Normalerweise mache ich das regelmäßig.

Zum Beispiel?

2004 war ich auf einem Management-Seminar.

Das bringt Ihnen was?

Manchmal ja, manchmal nein.

Warum lachen Sie?

Ich war bei einem Seminar für Konfliktbewältigung.

Sie, der oberste Experte der IG Metall für Tarifkonflikte?

Na ja, das war wirklich low level.

Sie lachen schon wieder?

Da hat der Seminarleiter Beispiele angeschleppt, da musste ich ihm sagen: Du hast keine Ahnung, welche Konflikte wirklich auf einen zukommen können. Das Seminar habe ich abgebrochen.

Gibt es denn in den Belegschaften überhaupt ein Problembewusstsein für das Thema Weiterbildung?

Über 90 Prozent sagen in Befragungen: Ja, Weiterbildung ist wichtig.

In Befragungen.

Genau, wenn man den Einzelnen fragt: Wie ist das bei dir? Dann sagt die Hälfte: Ich brauch das nicht! Da gibt es Aufklärungsbedarf.

Also brauchte die Metall- und Elektroindustrie ihren Pisa-Schock.

Da kann ich ja nur polemisch werden!

Warum polemisch?

Eine aktuelle Befragung bei deutschen Unternehmen zeigt: Nur 31 Prozent der Unternehmen fühlen sich von der Herausforderung alternder Belegschaften überhaupt betroffen. Ganze 14 Prozent glauben, dass sie wegen der demografischen Entwicklung unter Fachkräftemangel leiden werden. Ja wo leben diese Firmen eigentlich? Ist das Ignoranz, Unkenntnis oder Verdrängung? Es ist unglaublich.

Ist diese Ignoranz flächendeckend?

Nein. Unternehmen wie Daimler muss man nicht sagen, dass sie ihre Mitarbeiter qualifizieren. Die machen das schon aus Eigeninteresse. Aber kleinere und mittlere Firmen haben kaum Erfahrung mit Weiterbildung.

Warum ist sie so wichtig?

Weil nur die ständige Weiterbildung die Chance auf einen guten Arbeitsplatz bietet. Es geht bei Qualifizierung auch um die kleine, betriebliche Karriere.

Die gibt’s bisher nicht?

Nicht als Ergebnis eines bewussten Prozesses in den Betrieben. Der Willige muss momentan noch sagen: Ja, ich will drei Jahre lang auf eine Fachhochschule. Und dafür kündige ich meinen sicheren Job. Ein hohes Risiko.

Herr Huber, zu Ihrer Personalentwicklung. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Franz Steinkühler war 1. Vorsitzender der IG Metall, Klaus Zwickel war 1. Vorsitzender, und 2007 wird wieder ein Baden-Württemberger …

… das entscheidet der Gewerkschaftstag.

Wir dachten jetzt, Sie sagen: 1. Vorsitzender!

Da haben Sie sich jetzt eben geirrt.