WER FEIERN KANN, DER KANN NICHT FEIERN
: Postmodern alkoholisierte Notstandssituation

VON LAURA EWERT

Acht Flaschen Wein am Dienstag, ein Bier und fünf Gläser Champagner am Mittwoch und am Donnerstag vier Flaschen Wein, eine halbe Flasche Rum und ein Glas Whiskey. Wer soll denn da am Wochenende noch ausgehen, geschweige denn rumstehen können? Niemand! Man muss natürlich jetzt dazu sagen, dass der Alkohol unter mehreren Menschen aufgeteilt und immer zu extrem wichtigen gesellschaftlichen Okkasionen konsumiert wurde.

Am Dienstag zum Beispiel ging es um die Postmoderne, die ich einfach nicht verstehen wollte. Immer geht es um die Postmoderne, sagt fast immer irgendjemand, und ich tu dann so, als wäre mir das klar. So gefühlsmäßig. Die Freunde lagen und knieten laut sprechend auf dem Boden. Je leerer der Wein, desto schlechter wurden die Youtube-Videos und desto intimer, also auch schlechter, die Gespräche.

Das Gute ist ja, dass man in diesen Momenten der alkoholischen Verständigungsversuche immer das Gefühl hat: super, dass wir das jetzt auch mal thematisiert haben. Das wirklich Gute aber ist, dass man den genauen Inhalt der Gespräche am nächsten Tag wieder vergessen hat und nur noch das Gefühl des Geklärten zurückbleibt, was nüchtern ja niemals hätte geklärt werden können.

Auf jeden Fall ging es in den früheren Unterhaltungen um den Verdacht, dass junge Frauen, die über selbstbestimmten Sex schreiben, eine große Bedrohung für Männer darstellen und dass generell ab und an Fühlen der bessere Skill ist als das theoretische Wissen.

Beim Erwachen am nächsten Nachmittag halfen nur noch gebratene Eier, und in der Küche hatte einer der Besucher ein Platinen-Stecker-Kabel-Gebilde vergessen, was mich kurz über mögliche Bombenbauer in meinem Freundeskreis nachdenken ließ. Nur ganz kurz.

Der nächste, schon wieder nahende Abend war der Champagner-Abend, und der hatte mit Benjamin von Stuckrad-Barre zu tun. Der hat mit Christian Ulmen gelesen und wurde gefeiert, und da wollten ziemlich viele Leute dabei sein. Zu Recht. Stuckrad-Barre kann man nämlich uneingeschränkt gut finden. Ulmen auch. Das kann man ja nicht so oft. Küppersbusch war auch da und nickte meiner Begleitung im Vorübergehen zu, dabei kennen die sich überhaupt nicht, und ich fragte mich, ob man das einfach so macht. Besser freundlich nicken, als angequatscht zu werden: „So toll, was Sie da immer sagen in der taz.“ Will ja kein Mensch hören ständig. Also besser nicken. Stuckrad-Barre nickte nicht. Muss aber nichts heißen.

Der Rum-Abend war ein Rum-Abend, weil zurzeit vermehrt die Freunde aus dem südamerikanischen Exil mit Rum zurückkehren, und dass immer noch nicht richtig Frühling ist, kann man ja überhaupt nur gut finden, weil man es den braungebrannten, von wilden Tieren und klaren Gewässern Erzählenden nur gönnt, dass sie zumindest kurz zu spüren kriegen, womit wir hier die ganze Zeit klarkommen mussten.

Wie sollen diese, von frischen Früchten und Sport am Strand Schwärmenden denn auch sonst verstehen, aus welcher emotionalen Notstandssituation heraus man hier agiert. „Minus 10 Grad“ seien das doch mindestens, und man selbst, in den letzten vier Monaten zum Wetterprofi geworden, schmunzelte ein „Nein, das sind so plus 1“ entgegen.

Wir sind zu Winterrittern geschlagen worden. Gut, man hatte sich natürlich einen erhöhten Alkoholkonsum angewöhnen müssen, aber das ist ja jetzt wieder vorbei. Man war also nicht ausgegangen, nur am Sonntag dann wieder, und die Aussage des Kollegen, dass Clubgeschichten eben nicht erzählt würden, weil die Leute, die sie kennen, eben feiern und nicht schreiben, fand ich zumindest eine ganz gute Ausrede.