Barrikaden in Mailand

Schwere Zusammenstöße zwischen Linksradikalen und Polizei lenken von Skandal um Gesundheitsminister ab

ROM taz ■ Mit schweren Ausschreitungen in Mailand haben am Samstag einige hundert linksradikale Demonstranten in den italienischen Wahlkampf eingegriffen. Die 350 Randalierer, die aus dem Milieu der „Anarcho-Insurrektionalisten“ stammen, waren auf die Straße gegangen, um einen geplanten Aufmarsch einer kleinen neofaschistischen Partei zu verhindern, die als Bündnispartner Berlusconis an den Parlamentswahlen vom 9. April teilnimmt.

Von Anfang an suchten die linksradikalen Protestierer die direkte Konfrontation mit der Polizei, errichteten Barrikaden, zündeten Autos an, stürmten ein Wahlkampfbüro der postfaschistischen Alleanza Nazionale, warfen eine mit Nägeln gefüllte Bombe und Steine und schossen mit Leuchtraketen auf die Polizeibeamten. Doch die mit massivem Aufgebot angerückte Polizei behielt die Oberhand und nahm 45 Demonstranten fest.

Gleich dreifach konnte sich vor allem einer über den Randaletag von Mailand freuen: Silvio Berlusconi. Erstens schob er die Verantwortung für die Ausschreitungen sofort dem Oppositionsbündnis Prodis in die Schuhe. Zweitens wurde die Medienaufmerksamkeit völlig von dem faschistischen Marsch abgelenkt: Leute, die als Alliierte Berlusconis kandidieren, zogen am Samstag unter „Duce!“-Rufen mit zum römischen Gruß gereckten Arm durch Mailand.

Und drittens verschwand nach nur einem Tag ein Skandal aus den Schlagzeilen, der den Berlusconi-Block erschüttert und Gesundheitsminister Francesco Storace am Freitag zum Rücktritt gezwungen hatte. Storace, ein Politiker aus den Reihen der von Außenminister Gianfranco Fini geführten Alleanza Nazionale, war bis zu seiner Wahlniederlage im April 2005 Präsident der Region Latium gewesen – und hatte, wie es scheint, den damaligen Wahlkampf mit schmutzigen Mitteln geführt. Jedenfalls hatte eine Privatdetektei die Gegenkandidaten Storaces ausspioniert. Zudem stehen die Schlapphüte unter Verdacht, Wahlunterschriftenlisten der gegen Storace angetretenen Alessandra Mussolini gefälscht zu haben, um deren Ausschluss von der Wahl zu erreichen.

Die Staatsanwaltschaft Mailand hatte deshalb letzte Woche 16 Haftbefehle ausgestellt. Storace dementiert jede Verwicklung in den Skandal – die Privatdetektive seien von ihm nur mit der Sicherung seiner Telefone gegen Lauschangriffe beauftragt worden. Die Behauptung, einige „übereifrige“ Privatdetektive seien „eigenmächtig“ am Werk gewesen, klang nicht sehr überzeugend. Dank der Mailänder Bilder der von den Anarcho-Insurrektionalisten abgefackelten Autos ist Storace vorerst aber aus der Erklärungsnot. MICHAEL BRAUN