Brutal und volksnah

„Die Serben werden mir folgen, was auch immer geschieht“

aus Sarajevo ERICH RATHFELDER

Selbst im Raum des UN-Tribunals von Den Haag herrschte er noch. Kein Besucher konnte seinem durchdringendem Blick ausweichen. Manche Zeugen benahmen sich während ihrer Aussage, als wollten sie sich für das ihnen zugefügte Leid entschuldigen. Slobodan Milošević, jetzt im Gefängnis des Haager Tribunals gestorben, war furchtlos, brutal und skrupellos. Noch kurz vor seinem Sturz im Oktober 2000 ließ dieser Machtmensch seinen politischen Ziehvater und ehemaligen Freund Ivan Stambolić umbringen. Viele politische Widersacher mussten um ihr Leben fürchten. Und trotz seiner Ruchlosigkeit ist er in Serbien keineswegs der verhasste „Schlächter der Balkans“, der er für den Westen war.

Die Mehrheit der serbischen Bürger stand lange hinter Milošević. Viele saßen gespannt vor den Fernsehapparaten, als die ersten Auftritte ihres alten Präsidenten aus dem Den Haager Tribunal direkt übertragen wurden. Sein selbstbewusstes Auftreten machte Eindruck. Und vor allem in den ländlichen Gebieten Serbiens und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina drückten ihm die Menschen die Daumen. „Sie werden mich nicht zerstören oder brechen. Ich werde sie alle besiegen“, sagte der 64-Jährige noch kurz vor seinem Tod in einem Telefonat mit einem Gefolgsmann.

Zu Beginn seiner Karriere, im Belgrad der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre war Milošević Hoffnungsträger für Millionen. Die Massen jubelten ihm zu. Nach all den kommunistischen ritualisierten Versammlungen und langweiligen Reden waren plötzlich neue Töne zu hören. Der neue Belgrader Parteichef haspelte sich nicht mehr durch die Manuskripte, sondern sprach frei scheinbar alle drückenden Probleme der Menschen an. Der Tod des kommunistischen Übervaters Josip Broz, genannt Tito, 1981, wirkte nach. Die Wirtschaft steckte in der Krise. Die Inflation entwertete die Ersparnisse. Die Zukunft Jugoslawiens sah dunkel aus. In Slowenien, in Kroatien und im Kosovo forderte die nichtserbische Bevölkerung die Demokratisierung des damaligen jugoslawischen Vielvölkerstaates. Auch in Belgrad forderte eine lautstarke Minderheit die Öffnung des Systems.

Dem größten Teil der Menschen in Serbien machte dies jedoch Angst. Nationalistische Parteien und Gruppen trommelten zur Gründung Großserbiens, wenn Jugoslawien zerfallen sollte. Milošević war zwar, wie viele Zeugen berichten, selbst keineswegs ein radikaler Nationalist. Auch nicht seine Frau Mira Marković, die aus einer montenegrinischen Partisanenfamilie stammte und ihn schon seit der Schulzeit kannte. Als Sohn eines Popen und einer Mutter, die Selbstmord begangen hatte, klammerte er sich an die selbstbewusste und über wichtige Kontakte verfügende Mira, die ihn mit nach Belgrad nahm und bis zu seinem Tod seine engste Vertraute blieb. Manche Bekannte der Familie behaupten, Mira sei der eigentliche politische Kopf der Familie gewesen (siehe Portrait Seite 2).

Doch er erkannte die Zeichen der Zeit. Milošević verbündete sich mit den Nationalisten. Er agierte als Chef einer rot-braunen Koalition, rettete damit das bürokratisch-kommunistische System und stellte sich gleichzeitig als nationaler Führer dar. Zusammen mit Vojislav Šešelj, dem heute ebenfalls in Den Haag angeklagten Chef der damaligen Tschetnikbewegung, schlug er die Demokratiebewegung nieder. Im März 1991 rollten die Panzer gegen 200.000 Demonstranten. Die demokratische Opposition war gedemütigt. Und sollte später während des Krieges keine bedeutende Rolle mehr spielen.

Der bürokratische Apparat war damals gerettet worden, eine Säuberung in der jugoslawischen Armee brachte sie unter serbische Kontrolle. Die ersten Erfolge auf dem Schlachtfeld machten Milošević noch populärer, als er ohnehin schon war. Es gab zwar auch Widerstand gegen den Krieg, doch die Mehrheit der Serben unterstützte ihn. Tausende meldeten sich freiwillig. Die Informationen über die Verbrechen der ethnischen Säuberungen, der Aufbau von Konzentrationslagern, die Massenvergewaltigungen machten wenig Eindruck in der Gesellschaft. Dafür sorgten schon die gleichgeschalteten Massenmedien.

Dass Milošević später scheiterte, hatte weniger mit der wieder erstarkenden demokratischen Oppositionsbewegung zu tun als mit der Kritik aus den Reihen der Nationalisten. Während des Bosnienkrieges 1993, als Milošević Frieden schließen wollte, trat ihm erstmals der Oberbefehlshaber der serbischen Truppen, Ratko Mladić, entgegen. 1995 handelte er gegen den Widerstand der bosnisch-serbischen Radikalen den Friedensvertrag von Dayton aus. Das Bündnis mit den Radikalen auch in Serbien war jetzt brüchig geworden.

Wahrscheinlich war es der Druck der Nationalisten, der Milošević 1998/99 dazu bewog, im Kosovo Krieg zu führen. Er habe die politische Lage völlig falsch eingeschätzt, habe mit einer Auflösung der Nato und mit militärischer Unterstützung Serbiens durch Russland gerechnet, erklären jetzt einige seiner Vertrauten. Als er im Sommer 1999 nach Nato-Bombenangriffen nachgeben musste, war seine Macht gebrochen. Die Parteien der Nationalisten warfen ihm vor, Serbien in die Niederlage geführt zu haben. Er verlor die folgenden Wahlen. Als er weiter im Amt bleiben wollte, wandte sich die unter ihm gewachsene kriminell-nationalistische Szene gegen ihn, selbst die Elitetruppe des Innenministeriums. Sie verbündete sich mit der Opposition. Jetzt stimmte nicht mehr, womit er sich einstmals gebrüstet hatte: „Die Serben werden mir folgen, was auch immer geschieht.“

In Den Haag hat Milošević all die ihm zur Last gelegten Verbrechen zurückgewiesen. Er verteidigte sich selbst. Niemals hat er eingesehen, dass er, der doch mit den Staatsmännern der Welt auf gleicher Augenhöhe verkehrte, auf die Anklagebank gehörte. Seine durchdringenden Blicke im Gerichtssaal zeugten davon.