Die Anklägerin in Den Haag ist verstimmt

Carla del Ponte sieht sich durch den Tod von Milošević um ihre Arbeit und die historische Gerechtigkeit betrogen

Die Prozessführung gegen Slobodan Milošević war alles andere als ein Ruhmesblatt

BERLIN taz ■ „Dieser Prozess wird Geschichte machen, und wir werden gut daran tun, unsere Aufgabe im Sinne der Geschichte zu bewältigen.“ Mit diesen Worten hatte die Chefanklägerin Carla del Ponte den Prozess gegen Slobodan Milošević vor dem UNO-Tribunal in Den Haag am 12. Februar 2002 eröffnet. Nun, nach dem plötzlichen Ableben des ehemaligen jugoslawischen Staatschefs am vergangenen Samstag, ist wohl festzustellen: Mission verfehlt.

Entsprechend frustriert trat del Ponte gestern vor die Journalisten. „Es ist sehr schade, dass der Prozess nicht abgeschlossen und kein Urteil gesprochen wird“, sagte sie. Mit Milošević’ Tod sei den Opfern der Balkankriege die Chance genommen worden, dass Gerechtigkeit geübt werde.

Die Tatsache, dass den Betroffenen, von denen viele den Prozess zumindest in seiner Anfangsphase stundenlang am Bildschirm verfolgten, historische Gerechtigkeit vorenthalten bleibt, ist jedoch nur das eine. Das andere ist, dass Milošević’ Tod erneut ein Schlaglicht auf die Prozessführung wirft. Und die war alles andere als ein Ruhmesblatt. Angeklagt war Milošević wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kroatien und Kosovo sowie wegen Völkermords in Bosnien in den 90er-Jahren. Lange Zeit konnte jedoch keine Einigung erzielt werden, ob alle Anklagen in einem Prozess verhandelt oder die Anklage in Sachen Kosovo abgetrennt werden sollte. Nach einigem Hin und Her blieb das Gericht bei einem Prozess, was insgesamt 60 Anklagepunkte sowie den Umstand zur Folge hatte, dass allein die Beweisführung der Anklage über zwei Jahre dauerte.

Gestern kritisierte Richard Dicker von der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die ausufernde Anklage unter del Ponte im Milošević-Prozess. „Es sei die Aufgabe der Staatsanwälte, eine Verurteilung sicherzustellen und nicht einen umfassenden historischen Bericht zu erarbeiten“, sagte Dicker.

Ein weiterer Kritikpunkt von Experten ist, dass das Tribunal Milošević erlaubte, sich selbst zu verteidigen. Mit dem Hinweis auf seine schlechte Gesundheit nutzte der Angeklagte, der 1.600 Zeugen befragen wollte, diese Möglichkeit dazu, den Beginn der Verteidigungsphase im Prozess immer wieder hinauszuzögern.

So endet das wichtigste Verfahren am Den Haager Tribunal ohne Urteil. Vorrangiges Ziel des Gerichts, das bis zum Jahre 2010 seine Arbeit abgeschlossen haben soll, ist es nun, der beiden mutmaßlichen Kriegsverbrecher Radko Mladić und Radovan Karadžić habhaft zu werden. Deren Auslieferung forderte del Ponte gestern erneut mit Nachdruck. Derartige Appelle gab es in der Vergangenheit schon öfter – ohne Erfolg. BARBARA OERTEL