Eine Fabrik produziert Lebenslust

Das Stadtteilzentrum Regenbogenfabrik feiert 25-jähriges Jubiläum. Was mit einer taz-Kleinanzeige begann, ist heute Wohn-, Lebens- und Arbeitsort von 100 Menschen. Eine Kreuzberger Geschichte

von CHRISTOPH VILLINGER

Eigentlich war das Gebäude längst besetzt, als am 14. März 1981 die BesetzerInnen in der Lausitzer Straße in Kreuzberg anrückten. Seit Monaten hatten sich Jugendliche aus der Nachbarschaft in der leer stehenden Chemiefabrik ihren Abenteuerspielplatz eingerichtet. „Doch wir arrangierten uns schnell mit den Besetzern“, schreibt Nihat Karasu, einer der damaligen Jugendlichen, nun in der Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum der Regenbogenfabrik. Sie durften die heutige Rezeption des Kinos als Mehrzweckraum nutzen.

„Unsere Besetzergruppe fand durch eine taz-Kleinanzeige ‚Fabrikgelände sucht Mieter‘ im Frühjahr 81 zusammen“, erzählt die heute 47-jährige Christine Ziegler (s. Interview). „20 bis 30 Leute waren wir damals. Es war unklar, wer bleibt, und da wir neben der Fabrik ein ganzes Hinterhaus, zwei Seitenflügel und mehrere Wohnungen im Vorderhaus besetzt hatten, waren wir anfangs zu wenig Leute.“

Doch die Gruppe wuchs schnell: Über 50 Leute sind auf einem Gruppenfoto von 1983 versammelt. Im Lauf der Zeit entstanden eine Tischlerei, eine Fahrrad- sowie eine Metallwerkstatt auf dem weitläufigen Gelände. Die Kinoenthusiasten zeigten die ersten Filme. „In Zusammenarbeit mit der nahe gelegenen Evangelischen Ölberg-Gemeinde, die eine Patenschaft für das besetzte Haus übernommen hatte, entwickelte sich ein Stadtteilzentrum“, erinnert sich die gelernte Politologin Ziegler.

Nach drei Jahren erreichte man die „auf langen Plena und in vielen schlaflosen Nächten diskutierte“ Legalisierung der Regenbogenfabrik. Ein Mietvertrag mit der „Vogel-Braun-Gruppe“, im Kiez als einer der schlimmsten Spekulanten verschrien, kam zustande. Später kaufte das Land dem Eigentümer das Gelände ab. Es gilt wegen des Gartens inzwischen als bezirkliche Grünfläche, das einstöckige Fabrikgebäude als Industriedenkmal.

Heute fühlen sich etwa hundert Leute zur Regenbogenfabrik zugehörig. Viele arbeiten dort, etwa 35 leben allein, zu zweit, in Familie oder in einer Wohngemeinschaft auch im Haus auf dem Gelände. Noch mindestens vier BesetzerInnen der ersten Stunde sind dabei. „Wir haben in unserem gallischen Dorf inzwischen ein Café, eine Kita, ein Hostel, eine Kantine, ein Kino und ein Fahrradwerkstatt“, sinniert Christine Ziegler und bemerkt auch, wie dieses Leben einen so binden kann, dass es fast zum Abenteuer wird, „mal jenseits der Reichenberger Straße zu kommen“. Doch jetzt wollen sie weiter ausbauen, das Hostel vergrößern und den Seminarraum abreißen und neu bauen.

„Ökonomisch unabhängig und selbstverwaltet arbeiten“, das will auch die Sozialpädagogin Annette Schill. Mit anderen gründete die 49-Jährige in der Regenbogenfabrik eine kiezbezogene Bildungs- und Beschäftigungsinitiative mit dem Ziel, Arbeitsstellen im Stadtteiltourismus zu schaffen. Auch hier mitten in den Widersprüchen des Lebens: „Einerseits lehnen wir 1-Euro-Jobs strikt ab, andererseits bieten diese Jobs vielen die einzige Chance, hier zu arbeiten“, schreibt Schill in der Festschrift.

Noch immer trifft man alle Entscheidungen auf dem 14-täglichen Plenum, „grundsätzlich im Konsens“ so Schill. „Wir sind zwar wahnsinnig geworden an euch, aber die Entscheidungen waren dann zumindest von allen getragen“, kommentieren das die Architekten des Hauses.

Ab 16 Uhr wird heute bei Kaffee und Kuchen gearbeitet. Am Mittwoch gibt’s einen Chorabend. Samstag steigt um 14 Uhr ein Kinderfest, abends das große Geburtstagsfest mit Livemusik und Disko. Info: www.regenbogenfabrik.de