Der kleine Dicke vom Rand

Emil Beck ist tot. Und mit ihm kann nun endgültig auch das bundesrepublikanische Sportmodell zu Grabe getragen werden

VON THOMAS WINKLER

Der kleine Dicke ist tot.

Seltsam. Irgendwie war er immer dabei. Er war der Nerd mit dem seltsamen Hobby. Der, den man beim Klassentreffen weiträumig umgeht. Die Nervensäge, aus dem es immerzu raussprudelt, der ohne Unterlass redet von etwas, was eigentlich keinen sonst interessiert. Es hätte alles sein können: Modelleisenbahnen, Taubenzucht oder Briefmarkensammeln. Es war das Fechten, weil ein jugendlicher Emil Beck einen Film gesehen hatte: „Die drei Musketiere“.

Der kleine Dicke hatte nur Glück, dass seine Randsportart eine olympische war und die Erbsenzähler in Politik und Wirtschaft sich ebenso gerne im Glanz von Edelmetall sonnten wie der scheinbar unausrottbare Nationalist in uns allen, der plötzlich Fachbegriffe wie Parade und Planche, Riposte oder Mensur im Schlaf herunterbeten konnte. Als Bundestrainer hat Beck 20 olympische und 91 WM-Medaillen zu verantworten, nach anderen Zählweisen lassen sich die Erfolge leicht dreistellig beziffern. Deswegen durfte der Fecht-Bundestrainer im Haus des baden-württembergischen Ministerpräsidenten urlauben. Deswegen flog er im Bundeswehr-Hubschrauber mit dem Bundespräsidenten. Deswegen war sein Sturz umso tiefer.

Emil Beck starb am Sonntagabend in seiner Wohnung in Tauberbischofsheim an einem Herzinfarkt. Er war länger im Amt als Helmut Kohl und im Weltmaßstab wahrscheinlich auch erfolgreicher. Seinen letzten, seinen 70. Geburtstag beging er im vergangenen Juli trotzdem im kleinen Kreis. Die Reichen und Mächtigen waren nicht eingeladen. Und wären sie es gewesen, sie hätten sich entschuldigen lassen. Denn so viele Medaillen kann keiner nach Hause bringen, dass ihm erlaubt wäre zu verdrängen, wann seine Zeit abgelaufen ist.

Solange Beck aber Medaillen für die Nation sammelte, war alles in Ordnung. Erst als die Erfolge ausblieben, tauchten all die bösen Anschuldigungen und hässlichen Vorwürfe auf. Ehemalige Schützlinge und Mitarbeiter berichteten von unmenschlichem Drill und psychischem Dauerdruck. Seit 2001 ermittelte die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen den gelernten Friseur wegen Untreue und Betrug. Der Prozessbeginn wurde immer wieder verschoben. Nun werden sich wohl nur noch sein Sohn und sein Steuerberater verantworten müssen.

Zu Grabe getragen mit dem „kleinen Fechttrainer“ (Beck über Beck) wird auch das Leistungssportsystem der alten Bundesrepublik, das mit Unterstützung von Provinzfürsten und mittelständischen Betrieben zu konkurrieren versuchte mit dem zentralistischen Planungsmodell der DDR. Auch wenn es auch auf Millionen D-Mark Sportförderung aus Bonn gebaut war: Spätestens mit der Wiedervereinigung hatte das System Beck seine Erfolgsformel verloren, weil es sich nicht auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellen konnte. Andere Sportverbände erbten Athleten und Trainingsmodelle aus dem Osten, die Fechter gerieten ins Hintertreffen.

So steht das schlussendliche Scheitern von Beck auch für das Ende der westdeutschen Aufsteigerrepublik, deren wohl erfolgreichster Apologet Beck war. Noch mehr als Sepp Herberger und die anderen Wundertäter von Bern schrieb Beck mit seinen Fechtern das große deutsche Nachkriegsmärchen. Er spiegelte im Sport den Aufstieg der BRD zur Wirtschaftsgroßmacht – und ihren Fall. Aus einem scheinbaren Nachteil, der fehlenden Tradition, machte er einen Vorteil: So wie die bundesdeutsche Wirtschaft sich nach dem Krieg von Grund auf neu erfinden musste und so die in alten Techniken verhafteten Konkurrenten überholen konnte, so begann der Autodidakt Beck in jenem legendär gewordenen Heizungskeller zu Tauberbischofsheim 1952 aus dem Nichts den Angriff auf die Weltspitze.

Wahrlich eine Leistung. Nur den rechten Zeitpunkt für seinen Abgang wollte er nicht finden, bis er schließlich von den eigenen Vasallen beseitigt wurde. Es war, wenn man so will, sein einziger Fehler, und er teilte ihn mit dem Weggefährten Helmut Kohl. Von dem hing, auch schon lange nachdem der nicht mehr Bundeskanzler war, ein Foto über Becks Schreibtisch. Wird wohl Zeit, es endlich abzunehmen.