ALTE MEISTER (11)
: An der Oberfläche

Es ist eine Aufnahme großer Intimität, die dem AP-Fotografen hier gelungen ist. Ungewöhnlich frontal blickt TV-Meteorologe Jörg Kachelmann ins Gesicht des Betrachters. Eine Nähe, die an Selbstporträts großer Maler erinnert, von Dürer etwa oder Rembrandt. Das Porträt entstand als Promotionbild für Kachelmanns Moderation in der MDR-Talkshow „Riverboat“, es ist sein öffentliches Moderatorengesicht, locker, ironisch, in sich ruhend – oder: „So, wie man ihn kennt.“ Doch die Nähe ist nur suggeriert, das gefühlt bekannte Fernsehgesicht ist Oberfläche, Projektionsfläche, die sich dem Voyeurismus feilbietet. Dieses Bild hat zwei Gesichter. Beide tragen denselben Titel: „Jörg Kachelmann sitzt wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung bis auf Weiteres in Untersuchungshaft.“ Auf dem einen ist da dieser witzige, sympathische Schweizer, der immer ein wenig aussah wie das Wetter selbst, die Frisur windzerzaust, der Bart windschief, und dieser Hundeblick! „So einer tut so was nicht“, scheint in Goldschreibschrift am unteren Bildrand zu stehen wie auf einer alten Grußkarte. Auf dem anderen Bild haben die Augen etwas Verschlagenes, das Lächeln wirkt überheblich, der ganze Mann ungehobelt, grob, der hat doch keine Manieren, nicht mal Respekt vor dem Wetter. Egal, welches Gesicht der Betrachter sieht, er arbeitet sich ab an diesem öffentlichen Bild, je nachdem, welchem der Anwälte er folgt, was er selbst sucht, erlebt hat, glaubt. Wo er sich positioniert im Stellungskrieg, in dem die Kachelmann-Seite nun selbst klagen will gegen die Anklagen und Bild einen anonymen Geschäftspartner Kachelmanns zitiert, der von „Stalking“ spricht. Die Gegenseite kontert mit einem gerichtsmedizinischen Gutachten, das die Vergewaltigung belege. Wer immer hier Opfer ist und wer Täter, es wird etwas haften bleiben an der Oberfläche – und erst recht darunter.

DANIELA ZINSER