„Es gibt eine neue Lage“

ASYL CDU-Vize Laschet fordert ein Umdenken

■ 52, ist Vizevorsitzender der CDU und CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, dort war er von 2005 bis 2010 Integrationsminister.

taz: Herr Laschet, in ganz Deutschland protestieren Flüchtlinge – etwa gegen das Arbeitsverbot und die Residenzpflicht. Haben sie recht?

Armin Laschet: Zum Teil ja. Die Frage des Arbeitsverbots sollte man im Lichte der neuen Entwicklungen neu betrachten.

Sie meinen den demografischen Wandel?

Ja. Neben der wichtigen humanitären Frage sollten wir stärker als bisher Potenziale von Menschen in den Blick nehmen. Das hat man lange vernachlässigt und Flüchtlinge nur als Problem wahrgenommen.

Welchen Sinn hat zum Beispiel die Residenzpflicht? Ist sie nicht eine reine Schikane?

Die Residenzpflicht war dafür gedacht, dass es unter den Bundesländern und zwischen Städten und ländlichen Regionen zu einem fairen Ausgleich kommt – damit sich nicht alle Flüchtlinge in den großen Zentren ballen. Die Lage hat sich aber verändert. Die Residenzpflicht gilt auch nur noch in zwei Bundesländern.

Für mich steht eine andere Frage im Vordergrund: Auch die Aussiedler wurden in den Neunzigerjahren oft als Belastung empfunden. Heute sind viele Kommunen froh, wenn sich eine junge Spätaussiedlerfamilie mit Kindern bei ihnen niederlässt. So sollte sich der Blick auf Flüchtlinge auch verändern.

Hat sich das EU-Verfahren, das dem Land der ersten Ankunft die Zuständigkeit für die Flüchtlinge überlässt, für Sie bewährt? Die südlichen EU-Länder wie Griechenland und Malta sind damit oft überfordert.

Angesichts eines gemeinsamen Visasystems und offener Grenzen darf man die Staaten, in denen die Flüchtlinge zuerst landen, nicht alleinlassen. Deshalb finde ich es richtig, dass man sich auf europäischer Ebene jetzt auf einheitliche Schutzstandards verständigt hat.

Warum lassen wir trotzdem jedes Jahr tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken?

Das ist eine in hohem Maße moralische und humanitäre Frage. Ich denke, die Worte von Papst Franziskus, der auf Lampedusa von der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ gesprochen hat, sollten uns da wachrütteln.

Sollten wir mehr Flüchtlinge aufnehmen, etwa aus Syrien?

Ja. Baden-Württemberg hat sich schon dazu bereit erklärt – und auch im Bundesinnenministerium gibt es Offenheit in dieser Frage. Ich finde, dass wir eine größere Bereitschaft haben sollten, zu helfen – insbesondere Minderheiten wie den Christen und Alawiten, die in Syrien unter besonderem Druck stehen. Aber natürlich sollte sich unsere Hilfe nicht auf diese Gruppe beschränken. INTERVIEW: DANIEL BAX